Der Zeichen- und Kunftunterricht.
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im Ornamente ift in diefen höheren Schulen zwar noch nicht mit dem Her
gebrachten gebrochen,’ ^ das Rococo treibt noch fein heiteies Spiel in ziemlich
ausgelaufenen Variationen und hat fich befonders in der Schule Levaffeur’s
noch erhalten. Neben diefem tritt aber fchon mit ziemlicher Entfchiedenheit die
Renaiffance in das Feld und kommen mit den Vorbildern der claffifchen Archi
tektur auch deren ornamentale Motive zur Anwendung. Weit näher dei Antike
hält fich das figurale Zeichnen. In der Figur haben die Franzofen überhaupt nie
io ausgeartet wie im Ornamente und ihre Vorliebe für antike Formgebung befon
ders in der Plaftik ift charakteriftifch. Der Vortrag ift im Zeichnen zwar durchgehends
malerifch, dabei aber die Modulation keineswegs vernachläffigt und ift ftets das
Streben nach vollendeter Täufchung wahrnehmbar. Das Gefühl für Licht und
Schatten ift in den franzöfifchen Schulen in viel höherem Grade erzogen, als in
dei deutfchen, in welchen das Hauptgewicht auf die Durchbildung der Form
gehgt wird und der eigentlich malerifche Effecft hintangefetzt bleibt. Die deutfchen
Gypszeichnungen haben ein plaftifches Ausfehen, aber die Schatten find meift
jinwihr im Ton und übertrieben fchwarz. Schon in der Wahl des Papiertones find
die Tranzofen feinfühlender und kommt es nie vor, dafs auf Papieren gezeichnet
wird, deren Localton nicht mit dem Ton des Objeöles übereinftimmt.
Die Adlftudien zeigten eine fcharfe, individuelle Auffaffung bei gutem Ver-
ftändnifs der Anatomie. Sehr lobenswert waren bei Lequien (fils) die gepflegten
Uebungen in Croquis nach dem lebenden Modelle ; die Stellung des Actes wird
nach je zwei Stunden gewechfelt und haben die Schüler in diefer Zeit die Natur
fo fertig wie möglich aufzufaffen und darzuftellen, ein jedenfalls piaktifcherer
Weg für das Studium derfelben, als die minutiöfe Ausführung derObjedte, welches
in den deutfchen Kunftfchulen noch fo häufig Mode ift. -
Es bleibe hier nicht unerwähnt, dafs die neuen, oben befprochenen V or-
lagewerke in den Municipal-Zeichenfchulen allgemein mit den beften Eifolgen
in Verwendung ftehen und mit Julien das Feld geräumt ift.
Im /rchitekturzeichnen waren von claffifchen Motiven griechifche Säulen
und Tempel ausgeftellt; auffallend wenig aus der italienifchen Renaiffance. Das
Meifte, was in Fa$aden gezeichnet wird, ift der franzöfifchen Prunkzeit entlehnt
oder hält fich an die nüchternen ProducTionen der Neuzeit. Dagegen florirt das
eigentlich conitrudtive Zeichnen in allen Branchen und vorzüglich imMafchinenfach.
Modellharbeiten hatten nur die genannten Schulen Lequien und
Levaffeur exoonirt. Es waren Figurenreliefs nach der Natur und der Antike,
die durchwegs malerifche Behandlung zeigten; auch Renaiffance - Ornamente,
Büften etc. Die felbftftändigen Compofitionen bewegten fich noch vielfach im
Barokftil. Die Schule Levaffeur’s hatte auch Pflanzen, nach der Natur modellirt
iin Gyps und Wachs), vorgelegt.
Gute Zeichnungen waren ferner ausgeftellt von der ecole de deffin de nie
St. Bernhard 20, ecole de nie d’Algire und von der ecole d’avenue d Italie. Unter
den weiblichen Municipal-Zeichenfchulen glänzte die unter der Leitung dei
Madame Levaffeur flehende zumeift in Blumenftudien, aber auch mit ganz
gediegenen Figuren und Ornamenten. Diefer Schule kamen zunächft die vom
V. und XVI. Arrondiffement.
Die ecole de deffin“ der „manufadtur national des gobelins hatte fehr
intereffante Zeichnungen und Gobelinftudien ausgeftellt. Die Schule ift von den
Profefforen Limas und Maillard trefflich geleitet und wird dafelbft vorzugsweife
das figurale Fach und das Blumenftudium gepflegt.
* In denselben Schwanken befinden fich auch gegenwärtig die für kunftinduftrielle
Zwecke arbeitenden Deffinateurs. Die Aufteilung derfelben befand fich in der fudlichen Quer-
gallerie der franzöfifchen Abtheilung. V. Diimont, Pngnot, J. DubuifiTon coquetti.en noch a e
mit dem Stile der Zeit Ludwig XV. 1 zu edleren, fetteren Formen halt fich fchon Edan. J. Gonelle
und Charles Francois bleiben in ihren Shawldeffms unübertroffen.