Der Zeichen- und Kunftunterricht.
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hatte. In der relativ kurzen Zeit feit feiner Einführung als Unterrichtsgegenftand
haben fich durch die Erfahrung die Lehrmethoden fchon gröfstentheils nach einem
einheitlichen Principe geftaltet und gingen jene Anflalten darin als Müller voran,
an welchen eben vorzüglichere Lehrkräfte thätig waren, die den Zweck des Zeich
nens als integrirenden Theiles der formalen Bildung auffafsten.
Wie alles Neue, fo hatte auch das Zeichnen in den öfterreichifchenSchulen
zuerft die Phafen der Kindheit durchzumachen, mufste fich erft einbürgern unter
den beftehenden Difciplinen, hatte Vorurtheile zu überwinden und andere
Schwierigkeiten zu bekämpfen, bevor die feite Bafis erreicht wurde, von der aus
ein beftimmtes Ziel verfolgt werden konnte. Faft gleichen Schrittes entwickelten
fich etwa feit den fünfziger Jahren in Oeflerreich (wo wir als Centralftelle Wien
betrachten) die Kunftwilfenfchaft, die Induftrie und der Zeichenunterricht. Die
Induftrie verlangte Formen — die Kunftwilfenfchaft enthüllte fie — das Zeichnen
trat als Brücke, als vermittelndes Glied zwifchen Beide. Die Reformen, die fich
dadurch im Gefchmack vorbereitet haben, können nur durch die Zeichenfäle zu
ihrer Durchführung gelangen und das Verlangen der Induftrie nach diefer Reform
einerfeits, das Streben der Kunftwilfenfchaft, diefe durchzuführen, anderfeits mach
ten das Zeichnen zum Centralpunkt der theoretifchen und praktifchen Elemente
der Kunfterziehung. Immer näher und näher rückten die Fadtoren, die nur in
ihrem Zufammenwirken von wahrem Nutzen werden können, als in kurzen Zeit-
abfchnitten die Refultate der Kunft, der Induftrie und des Unterrichtes auf Welt-
ausftellungen fich in nationalen Wettkämpfen gegenüberftellten und dadurch die
Strömung befchleunigten. Was England mit dem South-Kenfington-Mufeum und
feiner Schule gefchaffen, was in den Hauptftädten von Frankreich und Deutfchland
angeftrebt und Rufsland mit feinen Mufeen und Kunftfchulen in Petersburg und
Moskau eingerichtet hat, das hat Oefterreich in feinem Mufeum für Kunft und
Induftrie gegründet, nämlich dem Reiche einen nothwendigen Centralpunkt für
diefe Bewegung.
Durch die Hebung des Unterrichtswefens im Allgemeinen, weiche fich im
letzten Jahrzehent in Oefterreich vollzog, wurde denn auch der Zeichenunterricht
in den Schulen für allgemeine Bildung allmälig feiner eigentlichen Beftimmung
näher gerückt und hatten wir es anderen Staaten voraus, dafs diefer Gegenftand
an unferen Realfchulen, welche wohl ehedem überwiegend technifche Bildung im
Ziele führten, von vorneherein als obligatorifch eingeführt wurde und fo eine
feile Bafis gewonnen hatte, auf welcher das Methodifche fich im Laufe der Jahre
klären konnte. Die höhere Bedeutung des Zeichenunterrichtes an den Mittel-
fchulen wurde von Seite der Kunftwiffenfchaft immer mehr und mehr betont; nicht
blofs auf das Technifche und die Induftrie füllte er Einflufs nehmen; feine gröfsere
Aufgabe follte vielmehr darin beftehen, unfere junge Generation zum Verftändnifs
der Formenfprache im Allgemeinen zu erziehen, ihren Augen das Schöne in der
Natur und Kunft zu erfchliefsen und dadurch den Geilt zu bilden und den
Gefchmack zu veredeln. Die Errichtung der Realgymnafien, in welchen diefer
humaniftifche Theil des Zeichnens ausgefprochener zur Geltung zu kommen hatte,
drängte die Frage weiter in den Vordergrund und auch an der Realfchule forderte
fie ihre Löfung, als mit dem Jahre 1870 fich ihre Reorganifation zu Gunften der
humaniftifchen Fächer vollzog.
Einem Sprichworte nach führen wohl alle Wege nach Rom, und wer fich
feines Zieles bewufst ift, wird es, früher oder fpäter, erreichen. Am Meiften wird
diefs fliegende Wort in der Kunft angewendet, wo eben das Individuelle
meift am Ausgefprochenften hervortritt und doch allerwärts nur ein Ziel, „die
Wahrheit“ angeftrebt wird. Anders verhält es fich jedoch mit dem fyftematifchen
Kunftunterrichte in der Schule; hier find zur Verwirklichung ausgefprochener
Tendenzen für das Allgemeine fixe Normen in pädagogifcher Beziehung eine
unumgängliche Nothwendigkeit. Nicht Künftler im eigentlichen Sinne follen
erzogen werden, fondern gefchulte Denker, die fowie in der Zeit auch im Raume