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Volltext: Der Zeichnen- und Kunstunterricht (Theilbericht der Gruppe XXVI), officieller Ausstellungs-Bericht

Der Zeichen- und Kunftunterricht. 
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hatte. In der relativ kurzen Zeit feit feiner Einführung als Unterrichtsgegenftand 
haben fich durch die Erfahrung die Lehrmethoden fchon gröfstentheils nach einem 
einheitlichen Principe geftaltet und gingen jene Anflalten darin als Müller voran, 
an welchen eben vorzüglichere Lehrkräfte thätig waren, die den Zweck des Zeich 
nens als integrirenden Theiles der formalen Bildung auffafsten. 
Wie alles Neue, fo hatte auch das Zeichnen in den öfterreichifchenSchulen 
zuerft die Phafen der Kindheit durchzumachen, mufste fich erft einbürgern unter 
den beftehenden Difciplinen, hatte Vorurtheile zu überwinden und andere 
Schwierigkeiten zu bekämpfen, bevor die feite Bafis erreicht wurde, von der aus 
ein beftimmtes Ziel verfolgt werden konnte. Faft gleichen Schrittes entwickelten 
fich etwa feit den fünfziger Jahren in Oeflerreich (wo wir als Centralftelle Wien 
betrachten) die Kunftwilfenfchaft, die Induftrie und der Zeichenunterricht. Die 
Induftrie verlangte Formen — die Kunftwilfenfchaft enthüllte fie — das Zeichnen 
trat als Brücke, als vermittelndes Glied zwifchen Beide. Die Reformen, die fich 
dadurch im Gefchmack vorbereitet haben, können nur durch die Zeichenfäle zu 
ihrer Durchführung gelangen und das Verlangen der Induftrie nach diefer Reform 
einerfeits, das Streben der Kunftwilfenfchaft, diefe durchzuführen, anderfeits mach 
ten das Zeichnen zum Centralpunkt der theoretifchen und praktifchen Elemente 
der Kunfterziehung. Immer näher und näher rückten die Fadtoren, die nur in 
ihrem Zufammenwirken von wahrem Nutzen werden können, als in kurzen Zeit- 
abfchnitten die Refultate der Kunft, der Induftrie und des Unterrichtes auf Welt- 
ausftellungen fich in nationalen Wettkämpfen gegenüberftellten und dadurch die 
Strömung befchleunigten. Was England mit dem South-Kenfington-Mufeum und 
feiner Schule gefchaffen, was in den Hauptftädten von Frankreich und Deutfchland 
angeftrebt und Rufsland mit feinen Mufeen und Kunftfchulen in Petersburg und 
Moskau eingerichtet hat, das hat Oefterreich in feinem Mufeum für Kunft und 
Induftrie gegründet, nämlich dem Reiche einen nothwendigen Centralpunkt für 
diefe Bewegung. 
Durch die Hebung des Unterrichtswefens im Allgemeinen, weiche fich im 
letzten Jahrzehent in Oefterreich vollzog, wurde denn auch der Zeichenunterricht 
in den Schulen für allgemeine Bildung allmälig feiner eigentlichen Beftimmung 
näher gerückt und hatten wir es anderen Staaten voraus, dafs diefer Gegenftand 
an unferen Realfchulen, welche wohl ehedem überwiegend technifche Bildung im 
Ziele führten, von vorneherein als obligatorifch eingeführt wurde und fo eine 
feile Bafis gewonnen hatte, auf welcher das Methodifche fich im Laufe der Jahre 
klären konnte. Die höhere Bedeutung des Zeichenunterrichtes an den Mittel- 
fchulen wurde von Seite der Kunftwiffenfchaft immer mehr und mehr betont; nicht 
blofs auf das Technifche und die Induftrie füllte er Einflufs nehmen; feine gröfsere 
Aufgabe follte vielmehr darin beftehen, unfere junge Generation zum Verftändnifs 
der Formenfprache im Allgemeinen zu erziehen, ihren Augen das Schöne in der 
Natur und Kunft zu erfchliefsen und dadurch den Geilt zu bilden und den 
Gefchmack zu veredeln. Die Errichtung der Realgymnafien, in welchen diefer 
humaniftifche Theil des Zeichnens ausgefprochener zur Geltung zu kommen hatte, 
drängte die Frage weiter in den Vordergrund und auch an der Realfchule forderte 
fie ihre Löfung, als mit dem Jahre 1870 fich ihre Reorganifation zu Gunften der 
humaniftifchen Fächer vollzog. 
Einem Sprichworte nach führen wohl alle Wege nach Rom, und wer fich 
feines Zieles bewufst ift, wird es, früher oder fpäter, erreichen. Am Meiften wird 
diefs fliegende Wort in der Kunft angewendet, wo eben das Individuelle 
meift am Ausgefprochenften hervortritt und doch allerwärts nur ein Ziel, „die 
Wahrheit“ angeftrebt wird. Anders verhält es fich jedoch mit dem fyftematifchen 
Kunftunterrichte in der Schule; hier find zur Verwirklichung ausgefprochener 
Tendenzen für das Allgemeine fixe Normen in pädagogifcher Beziehung eine 
unumgängliche Nothwendigkeit. Nicht Künftler im eigentlichen Sinne follen 
erzogen werden, fondern gefchulte Denker, die fowie in der Zeit auch im Raume
	        
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