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Guftav Semrad und Johann Sterbenz.
den entfcheidenden Gefechtsmomenten — aufser Zweifel, dafs jenen Hinter-
ladungsgewehren ein um fo höherer Werth zuerkannt werden mufs, welche die
continuirliche Abgabe einer gröfseren Schufszahl geftatten. Diefer Forderung ent-
fprechen die fogenannten Repetir- und Revolvergewehre; erftere in
höherem Grade als letztere, welche fich ohne namhafte Gewichtsvermehrung nicht
leicht für mehr als fechs Schufs einrichten laffen. Die Repetirgewehre, welchen
eine Zukunft prognoflicirt werden kann, laffen fich in zwei Hauptclaffen fcheiden:
in folche, welche das Patronenmagazin im Kolben haben (Syftem Spencer)
und in Repetirer, bei denen das Magazin unter dem Laufe liegt. (Syftem
Henry-Winchefter, Vetterli, Fruhwirth.)
Für den Kriegsgebrauch find dermalen in den europäifchen Staaten nur
das Repetirgewehr von Vetterli (feit 1809 in der Schweiz) und jenes des
Wiener Gewehrfabrikanten Fruhwirth (feit 1872 zur Bewaffnung der öfterrei-
chifchen Gendarmerie) adoptirt worden.
In allen Staaten führte die Cavallerie bisher nebft der Hiebwaffe, den
Säbel, und bei den Uhlanen nebft der Lanze auch noch eine kurze Handfeuer
waffe, den Karabiner oder die Piftole. Die Karabiner mit Vorderladung find
bereits durchgehends durch folche mit Rückladung, die Piftolen aber durch
Revolver, meiftens Abarten des L e f a u c h e ux’fchen Syftemes, eingerichtet für
Metallpatronen mit Centralzündung, verdrängt worden.
Während die principiellen Fragen hinfichtlich der Bewaffnung der Infan
terie überall mit mehr oder weniger Glück gelöft wurden, gelang es bezüglich der
B ewaffnung der F eidart iller ie bis heute nicht, eine Einigung der hier
über herrfchenden Anfichten herbeizuführen. Es kann diefs aber nicht Wunder
nehmen, da jedes der beiden Principien, die Vorder- und Hinterladung für den
Kriegsgebrauch gewiffe fpecififche Vortheile befitzt, die fich bis jetzt bei keinem
der beiden vollends vereinigen liefsen.
Wenn man die heutige Conftnnftion der beiden Syfteme betrachtet, fo
erhellt, dafs dem Vorderlader ein gröfseres Mafs der Einfachheit, dem Hinterlader
eine gröfsere Treffficherheit zukommt. So lange alfo nicht die Conftrutftion eines
Gefchützes gelingt, welches diefe beiden Eigenfchaften in dem erreichbarften
Grade vereinigt, was allerdings nicht zu den Unmöglichkeiten gehört, dürfte eine
principelle Einheit in der Bewaffnung der Feldartillerie nur dann eintreten, wenn
das bedeutende Ueberwiegen der einen oder anderen Bedingung unwiderleglich
demonftrirt werden kann. *
Dermalen haben von den Feldartillerien der gröfseren europäifchen Staaten
Vorderlader:
Oefterreich nach dem Bogenzug-Syfteme, England nach dem Syfteme
Maxwell (ein modificirtes La Hitte-Syftem) Schweden und Norwegen nach
dem Syfteme des Generals Wrede (ebenfalls ein modificirtes La Hitte-Syftem),
während Hinterlader in Deut fehl and, und zwar theils mit Doppelkeil
und Kupferliderung , theils mit Kolbenverfchlufs und Pressfpanböden , dann
in Ru Island, Italien, Spanien, in der Schweiz und der Türke i fowie
in faft allen aufser europäifchen Staaten mit einfachem Keil und Broad-
wellring eingeführt find.
Die öfterreichifchen, franzöfifchen und italienifchen leichten Feldgefchütz-
Rohre find ausfchliefslich aus Bronce, die fchwedifchen aus Gufseifen, die eng*
lifchen theils aus Schmiedeeifen und Stahl, theils aus Bronce, die deutlichen und
norwegifchen aus Gufsftahl erzeugt. Die Rohrgewichte variiren bei den leichten
Feldgefchützen zwilchen 260 und 400 Kilogramm, bei den fchweren von 500
bis 700 Kilogramm.
* Die neueften Verfuche mit Ringkanonen aus Gufsftahl und mit dem Rundkeil-Ver
fchlufte laffen diefes Ziel bereits naher gerückt erfcheinen.