Allgemeine Bewaffnung und Artilleriewefen.
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Der zufehencls überhand nehmende Mangel an geeigneten und ausgetrock
neten Hölzern, fowie erhöhte Anforderungen bezüglich des Widerftandes gegen
Percuffionen zwingen zum Uebergange zu Eifenconflrmfltionen bei Laffeten und
Fuhrwerken, und man konnte auf der Wiener Ausflellung diefe Richtung fchon
von den meiflen Artillerien einfchlagen fehen.
Hinfichtlich der Gefchofswirkung bleiben die Vorderlader, insbefondere
jene desSyflemes La Plitte, infoferne man fich nicht der Percuffionszünder bedient,
hinter den Rückladern, und zwar einerfeits wegen der geringeren Empfindlichkeit
der Zünder, anderfeits wegen der gröfseren Rotationsgefchwindigkeit entfchieden
zurück. Auf nahen Diflanzen befitzen die Vorderlader, auf gröfseren Entfernungen
die Hinterlader die gröfsere Flugbahn-Rafanz, eine Erfcheinung, die in der bedeu
tenden Anfangsgefchwindigkeit der erfleren Gefchütze und in der günftigeren
Form des Gefchoffes und der Belaftung feines Querfchnittes bei letzteren ihren
Grund hat. *
Die moderne Kriegführung im Felde wurde in neuefter Zeit durch die Ver
wendung der Mitrailleufe um ein Kampfmittel bereichert, welches zwar Jahrhun
derte feinem Wefen nach bekannt war, bis in die jüngfte Vergangenheit jedoch ein
mehr als befcheidenes Dafein friflete.
Die eklatanten Erfolge des Schnellfeuers, fo wie die verheerende Wirkung
eines gut gezielten Maffenfeuers find zunächfl als Urfachen anzugeben, welche
zur Conflrudlion von Mitrailleufen geführt haben und deren Einführung rechtfertigen.
Wenn fich auch diefe Waffe bei ihrem erflen Auftreten nicht gerade befon-
ders hervorgethan hat, fo fleht doch feft, dafs fie in der Defenfive unter beflimmten
Verhältniffen eine ganz aufserordentliche Wirkung zu äufsern vermag.
Bis zu 15- bis 1600 Schritt wird ihr Feuer immer mörderifcher fein, als'das
der Shrapnels und der Büchfenkartätfchen der Feldgefchütze. Von den feit der
Parifer Ausflellung aufgetauchten Syflemen haben fich die Gatt 1 ing-Kanone
und die Montigny-Mitrailleufe als die brauchbarflen erwiefen und wurden
auch in Rufs 1 and und England, in der Türkei und Egypten, beziehungs
weife in Oeflerreich-Ungar 11 bereits eingeführt.
Was die Leiftungen diefer beiden Syfteme im Schnellfeuer und deren
Trefffähigkeit anbelangt, fo kann nur ein günfliges Urtheil hierüber gefällt werden.
Dasfelbe läfst fich wohl auch hinfichtlich der Fundlionirung des Lade- und
Abfeuerungs-Mechanismus, nicht aber bezüglich ihrer Gewichtsverhältnifse fagen,
und erfcheint eine Erleichterung derfelben noch fehl* wünfchenswerth, wenn man
diefe Waffe in jedem Terrain zur Anwendung bringen will.
Während die Feldgefchütz-Frage noch nicht überall definitiv gelöft ifl, hat
fich das Feflungs- und Belagerungsmateriale rafch zu hoher Vollkommenheit
entwickelt.
Es ifl diefs begreiflich, da die an diefe Gefchütze geftellten Bedingungen
nicht fo fehr in Widerfpruche flehen, wie diefs bei den Feldkanonen der Fall ifl,
von welchen nebfl grofsem Effe<5le auch eine bedeutende Beweglichkeit gefor
dert wird.
Die Belagerungs- und F eflungsgefchütze bedürfen eben nur jenes
Grades der Beweglichkeit, der es zuläffig macht, fie durch die Trancheen oder
über die Wallrampen in ihre Pofitionen zu fchaffen, und nachdem fie in der Regel
hinter Deckungen flehen, konnten fie leicht alle Einrichtungen erhalten, die eine
effektvolle Gefchofswirkung, verbunden mit entfprechender Treffficherheit ver
bürgen, endlich eine gefahrlofe Bedienung geflatten.
Man hat demnach für die Zwecke des Feflungs- und Belagerungskrieges
zumeifl Hinterlader adoptirt, und zwar fowohl Kanonen, als auch Mörfer,
welch’ letztere fich befonders wirkfam erweifen.
* Diefes Verhältnis hat fich bei den Hinterladungs-Gefchützen der Rir.gconftrucbion
zu Gunften derfelben geändert.