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Volltext: Russland, officieller Ausstellungs-Bericht

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Wilhelm von Lindheim. 
liches Inventar befafsen, fo war es ganz natürlich , dafs diefelben, nachdem die 
früher von den Leibeigenen bearbeiteten beften Terrains vollftändig in deren Befitz 
übergegangen waren, während der Befitzer die fchlechten Terrains und auch 
diefe ohne jegliches Inventar übernehmen mufste, im Augenblicke der Befreiung 
fich in einer fehr kläglichen Pofition befanden. Meiftentheils haben diefelben 
fich dann veranlafst gefehen, auch diefe Terrains, natürlich unter fehr ungünfti°-en 
Verhältniffen, den frei gewordenen Bauern zu übergeben, da fie kein Geld 
hatten, um Inventar anzukaufen, und ebenfo wenig, um die freien Arbeiter 
zu bezahlen. 
Unter diefen fchon fehr erfchwerenden Calamitäten war es ein weiteres 
Unglück, dafs im Augenblicke der Emancipation die Handarbeit, refpedtive 
der Preis derfelben, den gröfsten Schwankungen ausgefetzt war, welche jede 
Berechnung unmöglich machten. 
Es ift aus den Arbeiten der Commiffion zu erfehen, dafs der Preis für 
den Handarbeits-Tag im Süden zwifchen 30 Kopeken und 3 Rubeln gefchwankt 
hat. War es einerfeits als Glück anzufehen, dafs nunmehr jeder Bauer auch wirklich 
Grundbefitzer wurde, fo mufste es für die früheren Grofsgrundbefitzer als Unglück 
an gefehen werden, dafs dadurch eine folche Concurrenz für die Handarbeit 
gefchaffen, dafs es unter Umftänden unmöglich war, fich überhaupt bezahlter 
Arbeiter zu bedienen. Es nnifs indeffen dennoch erwähnt werden, dafs in ein 
zelnen Gegenden Rufslands die Verhältniffe beffer find, beifpielsweife in den 
baltifchen Provinzen, in Kiew, Podolien, Wolhynien und einigen Gouvernements des 
Centrums, wo die Bevölkerung weniger zerftreut und folgerichtig das Angebot 
der Handarbeit ein grofses ift. 
In diefen Gegenden ift auch in der That der Bodenbau durch bezahlte 
Arbeit gang und gebe, und zwar wird hier auf den Tag gezahlt, fehr oft auch für 
ein ganzes Jahr oder auf eine Saifon abgefchloffen, und es ift möglich , den voll- 
ftändigen Bedarf an Arbeitskraft an den Orten felbft zu erhalten. 
In einigen Gouvernements des Südens und Südweftens in Jekaterino- 
flaw, Cherfon. Samara, Befsarabien und Taurien tritt ein gleiches Verhältnifs 
zu Tage. 
In diefen Provinzen ift das Terrain reichlich unter die Bauern vertheilt 
worden, und deren Exploitation genügt, um fie zu befchäftigen; jedoch kommt 
nach diefen Provinzen eine grofse Anzahl von Arbeitern, welche nach ihrer Heimat 
zurückkehren, fobald der Winter hereinbricht. In anderen Landftrichen wo die 
eigenthümlich überlaffenen Terrains unzureichend find, und da, wo es an Weiden 
und Wiefen mangelt, exiftirt der Gebrauch, die Arbeiter dadurch zu bezahlen, dafs 
ihnen der Nutzbrauch der Grundftücke überlaffen wird. In diefen Gegenden hat 
fich die Abhängigkeit des Kleinbefitzers von den Grofsbefitzern theilweife voll 
ftändig erhalten, und man findet daher beifpielsweife im Gouvernement Orel ein 
ähnliches Verhältnifs, wie vor der Emancipation. Sehr originell ift die Art und 
Weife, wie in einzelnen Gouvernements die Ernte eingebracht wird; in Koftroma 
nämlich ift es üblich, dafs während der Feiertage das Mähen und Einbringen des 
Getreides von den gefammten Einwohnern des Ortes im freundfchaftlichen Wege 
für den Grofsgrundbefitzer vollzogen wird. Es wird hiefür kein feftgefetzter Tages 
lohn gezahlt, dagegen den Arbeitern Speife und Trank nach Belieben verab 
reicht, und es kommt daher manchmal vor, dafs die Köllen der Ernte theuerer 
kommen, als es gegen Baarbezahlung der Fall gewefen wäre. 
In den baltifchen Provinzen, wo, wie bekannt, die Landwirthfchaft weiter 
vorgefchritten ift, als in dem übrigen Rufsland, hat fich für den Befitzer wie für 
den Arbeiter ein gleich günftiges Verhältnifs eingebürgert. Der Arbeiter erhält 
dafür, dafs er die Verpflichtung übernimmt, für den Befitzer zu arbeiten, 
Wohnung, Garten und ein Stück Feld, welches er für feine eigene Rechnung 
bearbeitet, wobei er aber noch Zeit gewinnt, drei bis vier Tage per Woche gegen 
einen extra bewilligten Lohn für den Eigenthümer zu arbeiten.
	        
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