MATHEMATISCHE LEHRMITTEL.
(Theilbericht zur Gruppe XXVI.)
Bericht von
Josef Knirr,
Profejfor in Wien.
„Alles Abftracte wird durch die Anwendung dem Menfchenverftande
genähert, und fo gelangt der Menfchenverftand durch Handeln und Beobachten
zur Abftradlion. “
Diefe Worte Goethe’s werden uns bei unferer Betrachtung leiten und
können zugleich unfere Lefer von der ganzen Bedeutung unferer Aufgabe über
zeugen.
Die für den mathematifchen Unterricht auf der internationalen Weltaus-
ftellung in Wien im Jahre 1873 ausgeftellt gewefenen Lehrmittel können füglich
in Lehrmittel für den Anfchauungsunterricht und in Lehr- und Uebungsbücher,
welche in den verfchiedenen Lehranftalten dem mathematifchen Unterrichte zu
Grunde liegen, eingetheilt werden. •
Der Natur des Gegenflandes gemäfs follen hier zuerft die ausgeflellten
Lehrmittel für die Arithmetik, Algebra und Analyfis, dann die Lehrmittel für den
Unterricht in der Geometrie einer Befprechung unterzogen werden. Bevor jedoch
der Berichterftatter diefe Befprechung beginnt, hält er fich verpflichtet, einige
Daten aus der Gefchichte der Mathematik vorauszufchicken.
In der älteften Zeit war es die Natur felbft, welche die Menfchen anregte,
Mathematik im weiteften Sinne des Wortes zu betreiben, da fchon die Befriedi
gung der gewöhnlichen Lebensbedürfniffe die Menfchen zum eifrigen Studium
derfelben hinzog. Das regelmäfsige Wechfeln von Tag und Nacht, das periodifche
Wiederkehren der Mondesphafen und fo vieles Andere mögen hiezu die erfte
Veranlaffung geboten haben; der Hausvater wollte feine Angehörigen, der Hirt
feine Heerde zählen. Durch das Auftreten mehrerer Dinge derfelbep Art waren
Zahl und Form fchon mit den erften fmnlichen Anfchauungen gegeben; die Zahl
mufste nur von den Gegenftänden gelöft werden, damit fie felbftftändig auftrete.
Das Zählen und die Erfindung der Zahlwörter gehören daher unftreitig zu
den erften geiftigen Thätigkeiten der Menfchen. Man kann wohl mit Sicherheit
annehmen, dafs fich die Menfchen in der erften Zeit beim Zählen der Finger einer
Hand bedienten, und die Zahl fünf mag wohl den erften Ruhepunkt beim Zählen
gebildet haben. Anftatt fechs wird man daher fünf mehr eins, anftatt heben: fünf