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Volltext: Bildende Kunst der Gegenwart (Gruppe XXV), officieller Ausstellungs-Bericht

Die Sculptur. 
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Nie hat fich die Sculptur in Frankreich von der Induftrie fo fehr abgefon- 
dert, wie es in Deutfchland bis in die jüngfte Zeit der Fall ift; der ftete Contakt 
war beiden Th eilen nur von weitgehendftem Nutzen ; einerfeits fanden Talente 
reichliche Befchäftigung und blieben kunftgeübte Hände nie brach liegen, und 
andererfeits gelangte durch das Heranziehen künftlerifcher Kräfte eine Anzahl 
Kunftgewerbe (vorzugsweife die Broncefabrication) in der Welt zur dominirenden 
Stellung, was dem Lande Ruhm und Geld eintrug. Diefes Faktum wurde auch 
von den verfchiedenen Regierungen in Frankreich bis zur Gegenwart ftets wohl 
im Auge behalten und der Kunft von Seite des Staates reiche Unterftützung 
geboten. Was auf der einen Seite ausgegeben wurde, flofs ja auf der anderen 
reichlich!! wieder zurück ; und welchen Werth auch die gegenwärtige Regierung 
auf die Künfte legt, zeigte wohl deutlich die Ausheilung: kein Land war in der 
Sculptur fo reich und glänzend vertreten wie Frankreich, und zumeift ging die 
Expofition der Objekte auf Koften des Staates, denn nahe zwei Dritttheile des 
Ausgeftellten trugen im Kataloge den eingeklammerten Satz „appartient a l’etat“. 
Es mufste für uns Deutfche befchämend fein, auf dem Wahlplatze der Arbeit in 
einem fo erhabenen Kunftzweige Frankreich gegenüber fo armfelig vertreten zu 
fein, wo es doch von früher her bekannt war, worin die Stärke diefes Landes 
hauptfächlich befteht, und wodurch es gröfstentheils zu feinem Wohlftande kam. 
Freilich haben die Franzofen in Bezug auf Entwicklung derTalente den Vortheil, 
dafs fie weniger Bildhauerprofefforen haben, aber defto mehr fleifsige und 
befchäftigte Meifter; der Kunfteleve hat nicht das Gute, was ihn die Mutter 
Natur mitgegeben hat, in feinen Lehrjahren verfteckt zu halten — er wählt feine 
Meifter nach deren Schöpfungen und erzieht fich felbft nach den feinem Individuell 
zufagenden Vorbildern. 
Die franzöfifche Ausftellung bot, wie in der Malerei, fo auch in der 
Sculptur keineswegs viel Neues (das aus den letzten fechs Jahren datirte), fon- 
dern umfafste die Produktion von nahezu zwei Decennien. Ging hierin alfo die 
Commiffion über das aufgeftellte Programm hinaus, fo durfte ihr darob wohl 
keineswegs ein Vorwurf gemacht werden; denn auch andere Staaten reprä- 
fentirten einen weiteren Zeitraum der Kunftthätigkeit als den von der letzten 
Ausftellung an, und weifs wohl alle Welt, was für Paufen in den vergangenen vier 
Jahren die Ereigniffe in Frankreich in die Kunftthätigkeit und Induftrie gefetzt 
haben, fo dafs das Vorführen von älteren Arbeiten als gerechtfertigt erfchei- 
nen mag. 
Da es, wie berührt, in Frankreich gegenwärtig weit weniger als in Deutfch 
land ausgefprochene Schulen in der Plaftik gibt und mehr aus dem Ueberein 
ftimmen der Individualität der Künftler eine Majorität in Betreff beftimmter 
Charakteriftiken fich bildet, fo dürfte es wohl gleichgiltig fein, in welcher Folge 
wir die Befprechung der hervorragendften Objekte nehmen; es ift vorzuziehen, 
hierin die Topographie der Ausftellung in der Kunfthalle zu berückfichtigen, um 
das Gedächtnifs des freundlichen Lefers in unferer Rundfchau nicht durch fprung- 
weifes Herausheben der einzelnen Werke zu ermüden. 
Wir beginnen denn unfere Wanderung vom Achmed-Brunnen aus nach 
dem Haupt-Mittelfaal, wenden uns durch die franzöfifche Abtheilung zum Nord 
portale und kehren durch die weltlich gelegenen Seitenfäle zum Haupt-(Weft-) 
Eingänge wieder zurück. 
Zunächft begegnet uns C. Bourgeois’ „Pythia auf dem Dreifufs“. Das wahr- 
fugende Weib war pompös aufgefafst, im Momente der höchften Ekftafe ; vielleicht, 
wie uns Plutarch einen Fall fchildert, in einer Aufregung, die durch die nerven 
reizenden Dämpfe fogar den Tod der Priefterin herbeiführte. Die Linke fährt in 
das reich herabwallende Haar, die Rechte hebt fich prophetifch empor; die ver 
zerrten Augen, der geöffnete Mund, die fliegenden Draperien geben der Geftalt 
etwas Furienhaftes, mehr Bewufstes, als dafs darin der eigentlich krankhafte 
Zuftand gefchildert würde. Die Formenbehandlung lehnte fich an die Canova’s.
	        
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