Die Malerei.
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wie zufammengehöre und aus einer gemeinfamen nationalen Kunftanfchauung
feine Herkunft leite. , , , .. ,
Gewifs war den deutfchen Bildern nicht minder deutlich ihr nationaler
Urfprung auf die Stirne gefchrieben , und doch fprachen fie in einem ganz ande
ren Sinne zu uns. Das Rein-Individuelle entfchied da den erften Eindruck ; man
mufste von Bild zu Bild gehen, die einzelnen Maler in ihrer Eigentümlichkeit
fchätzen und würdigen lernen und eilt nach diefen vielen, allmalig angeknupften
und gepflegten Kunftbekanntfchaften kam man mehr auf dem Wege der Abftrac-
tion des Unheils zu der allgemeinen Vorftellung deffen, was beiläufig die
deutfche Kunft in ihrem gegenwärtigen Zuftande fei. Die Gefammtwirkung hatte
etwas Zerftreutes, oft ganz Ungleichartiges, weil die Wirkung des Einzelnen zu
Namentlich im Genrefache beeinträchtigt die deutfche Gründlichkeit in dei
Charakteriftik und Seelenmalerei oft die ruhig zufammenftimmende malenfche
Gefammthaltung; aus jedem Bilde war da eine andere Gefchichte abzulefen, und
zwar allmalig und bedachtfam, wie aus einem gut gefchnebenen Buche. Wo o
viele Maler fleh aufs Erzählen und Schildern legen, mufs man ihnen einzeln
folgen, jedem Geflehte feine feelifche Bedeutung abfragen, und für die grofse
Ueberfchau ift da wenig gewonnen. Der individualifirende Trieb, der durch
untere Literatur geht, fpricht fleh ebenfo auch in unferer Kunft aus Be. den
Franzofen war diefs kein abgezogener Begriff, fondern eine unmittelbare flnn-
liche Wirkung, die uns da fagte: Das ift die franzöfifche Kunft, wie fie fleh eben
ietzt präfentirt. . . . , , r , • \ t.
Das Erfte und Unmittelbare, was man wirklich fah, und lieh nicht
blos aus verfchiedenen Merkmalen combinirte, das war eben der allgemeine
Kunftcharakter - erft in zweiter Reihe löfte fleh diefes Allgemeine in die indivi
duellen Unterfchiede auf. Man konnte fleh von diefer Art der Wirkung fofoit
überzeugen, wenn man rafchen Ganges die vier franzofifchen Hauptfale durch-
fchritt. Ob man da den Perfeus von P. Blanc der Medufa den Kopf abfchlagen
fah ob man einen Blick über den Sclavenmarkt Giraud’s hmgleiten liels, oder
den Schäferhund Troyon’s fixirte, der von erhöhtem Standpunkte aus die
Schafheerde vor fleh Revue paffiren läfst — ob man Regnault s General Prim,
ftolz zu Pferde fitzend, fleh nach dem Pöbelchorus von Madrid umblicken fah,
oder Breton’s Proceffion durch das fonnige Kornfeld folgte ob man fleh von
Tules Lef^bvre’s „nackter Wahrheit“ mit ihrer hocherhobenen Leuchte den
ganzen Saal mit einem Male beleuchten liefs, oder den aus der Synagoge vertrie
benen Chriftus von Laurens mit echt franzöflfeh- theatralifchem Pathos die
Treppen hinabfteigen und Barrias’ Sokrates in ähnlicher Geberde fleh zum
Tode rüften fah: es ging durch alle diefe Geftalten, fo verfchiedener Herkunft
fie fein mochten, ein verwandter nationaler Familienzug; fie fprachen im male-
rifchen Sinne dasfelbe ftark und nachdrücklich accentuirte Franzöflfeh. Aber
noch mehr: fie redeten auch deutlich die Sprache der grofsen Kunftfchulen, die
in Frankreich feit der Blüthezeit des Einfluffes von Ingres, Delacroix und Delaroche
trotz der vielfach berufenen Verwilderung der neueften franzofifchen Kunlt-
zuftände noch immer ihre ftarke und unverkennbare Nachwirkung aufsern.
Das entfehiedene Hervortreten des nationalen Zuges, und zwar nicht blos
dem geiftigen Inhalt nach, fondern in der fmnlichen Erfcheinung, in der augen
fälligen Lebensäufserung —diessift ein ganz unfehätzbarer Vorzug für die bildende
Kunft Es kommt in der Malerei nicht blos darauf an, wie viel Gemuthsfond und
innerliches Leben hinter den Bildern fteckt, fondern vielmehr darauf was von
dem volkstümlichen Naturell und Geilte völlig in die Darftellung aufgeht Trifft
diefe Bedingung zu, dann ergibt fleh daraus eine Leichtigkeit und Sicheiheit im
Ausdruck und Vortrag, welche ganz fälfchlich als Oberflächlichkeit aufzufaffen
wäre blos weil Alles, was man da ausdrücken will, wirklich an die Oberfläche
kommt Die moderne franzöfifche Malerei hat, ganz abgefehen von den fittliclien