Die Malerei.
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Man hat oft den Franzofen vorgeworfen, dafs fie zu direkt auf den Effekt
losgehen, aber zuletzt zeigt fich doch nur in dem Wirkenden, nicht blos in dem
Erfonnenen die Kraft der Kunft. Wenn die modernfte franzöfifche Malerei oft
eine unlautere Buhlfchaft mit dem Effecte treibt, fo haben die Führer der ent-
fcheidenden Richtungen aus letzter Zeit das wirklich Bedeutende, das fie anftreb-
ten, eben auch mit finnlicher Kraft der Wirkung auszufprechen gewufst, und in
diefer Art darf man den Effekt wohl gelten laffen. Nur folche ftark' prononcirte
Ausdrucksweifen können auch für längere Zeit ihrenEinflufsbewahren, und geben
dann, indem fie fich fchulmüfsig vererben, auch wenn fich der geiftige Gehalt
vermindert, der Kunft jene äufserlich imponirende Gefammterfcheinung, wie fie
uns in den franzöfifchen Sälen entgegentrat. Sie ift wefentlich ein Ergebnifs
gewiffer, in compakten Maffen auftretenden Hauptfchulen, zu denen die einzelnen
Maler ihre Zugehörigkeit auch ausdrücklich bekennen.
Jean Ingres’ reinerer Einflufs ift noch nicht ganz verwifcht; zum Panier
des energifchen und vielfeitigen bei aller Kraft des Ausdruckes doch künft
lerifch gemäfsigten Delaroche bekennt fich noch eine ftattliche Reihe von
Künftlern; etwas Wenigere folgen der Fährte des geiftvoll wagenden Dela
croix. Picot’s Schule wirkt noch aus den Tagen der Juliregierung nach;
Couture’s Einwirkung, deffen Atelier im Anfänge derfünfziger Jahre mit Schülern
fich füllte, ift zurückgetreten, aber nicht gerade erlofchen; Horace Verne t’s
Schule fondert fich deutlich genug aus ; Charles Gleyre, der den formalen Idealis
mus in der Kunft wohl auf bequemere und fafslichere Weife als Ingres felbft zu
vermitteln wufste, bewahrt als fchulbildender Meifter auf lange hinaus feine Be
deutung. Ganz befonders zahlreich ift aber der Schülerkreis von Lion Cogniet
in der neuerten franzöfifchen Malerei vertreten ; wie häufig lafen wir nicht in dem
Katalog den Zufatz: „elkve de L. Cogniet“ 1 Er hat, feitdem er fich felbft von der
Produktion zurückgezogen, als Lehrer nachhaltig auf das jüngere Gefchlecht Ein
Hufs geübt; er insbefondere verftand es, feinen Stil- und Formfmn zu populari-
firen, indem er zugleich durch coloriftifches Verftändnifs den Neigungen derZeit
entgegenkam. Die fpecififch modernen Einflüffe gehen nun weiter in umfaffender
Weife von Cabanel und Gerome, den tonangebenden Meiftern des zweiten
Empire aus; in der Landfchaft machen Corot, Bertin, Daubigny, ebenfalls Schule.
Die franzöfifche Ausftelltmg hat fich allerdings dadurch fein- in Vortheil
zu fetzen verftanden, dafs fie ganz gegen das Programm bis auf mehrere Decennien
zurückgriff und auch noch einige berühmte Todte citirte, um die prunkhafte
Infcenirung diefer Expofition vervollftändigen zu helfen. Hätte man fich ftreng
nur auf die Produktion der letzten Ausftellungsperiode befchränkt, dann hätte es
auch nicht an einzelnen fehl- bedeutenden Leiftungen gefehlt, aber die Wirkung
des Enfembles wäre weit befcheidener geblieben. So aber bekamen wir eigent
lich eine ausgepackte Gallerie moderner Kunftwerke älteren und jüngeren Datums
zu fehen, die entweder fchon früher wiederholt ausgeftellt waren oder bereits in
öffentlichen und Privatfammlungen fich befinden. Das Palais Luxembourg allein
ftellte ein fehr anfehnliches Contingent von Bildern. So konnte man in den fran
zöfifchen Sälen einen ganzen Curfus neuerer Kunftgefchichte durch die Zeit des
zweiten Kaiferreiches bis in jene des Juli-Königthums und der Reftauration hinauf
durchmachen.
Delacroix, von dem eine Reihe bedeutender Bilder umherhingen,
geleitete uns bis in die romantifche Schule der franzöfifchen Malerei zurück. Die
Ingres’fche Schule war ftark vertreten und der berühmte Meifter felbft trat uns
in dem Zeichnungsentwurfe zu feiner „Apotheofe Homer’s“ entgegen. An die
ältere Malerei des Kriegs- und Soldatenlebens aus der Kunftepoche des Juli
königthums gemahnte uns II. B e 11 a n g e, noch ein Schüler des alten Gros, mit
feiner wohlbekannten „Epifode von dem Rückzuge aus Rufsland“. Die von Paul
Delaroche angeregte gefchichtliche Richtung konnte man wenigftens nachwirken
fehen. Allmälig kam man dann durch verfchiedene Mittelftufen zu der modernen