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Volltext: Bildende Kunst der Gegenwart (Gruppe XXV), officieller Ausstellungs-Bericht

Die Malerei. 
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Ein gefährlicher Ueberreiz zeigt fich nach beiden Seiten hin, in der exceffiven 
Sinnlichkeit wie der gelegentlich ausbrechenden religiöfen Exaltation. 
Der Gefchmack an dem claffifchen Idealkreis der Mythologie und 
Heroenfage haben die Franzofen noch immer beibehalten; es ift diefs ein 
altes romanifches Erbftück. Emil Levy behandelt da, wenn ich fo fagen darf, 
mit Efprit und Anmuth die mythologifche Novelle; bald mehr nach der pikant- 
ironifchen Seite, wie in dem „Urtheil des Midas“ (Nr. 448), bald auch in den 
ergreifenderen Momenten, wie in feinem „Tod des Orpheus“ (Nr. 449, vom 
Salon 1866). Bis zum Tragifchen erhebt er fich da freilich nicht; die kleine 
Manier der Zeichnung läfst es an fich fchon nicht zu, und die Mänaden, die unter 
Flötenklang und Cymbelnfjhall den Orpheus umtoben, bleiben noch in ihrer 
Raferei zierlich und anmuthig. 
Die pathetifche Gattung des Mythenbildes geht bei den Franzofen ins 
grofse Format, hat da aber meiftens etwas formaliftifch Leeres, rein Decoratives, 
Tapetenartiges. Ein prahlerifcherZug liegt nebenbei auch in diefen alten nackten 
Flaudegen, die der lernäifchen Schlange auflauern, die Medufa köpfen oder die 
Chimäre befiegen; in der Manier, wie fie diefe herorifche Arbeit bei Jean Bin, 
bei P. Blanc, bei P. Lehoux erledigen, ifl fchon fo etwas von der national-fran- 
zöfifchen Heldenbravour. 
Dünn in der Farbe und flach in der Empfindung, zu leer im Ausdrucke und 
in der Compofition für die anfpruchsvoll grofse Leinwand ift dasjenige, was uns 
Jules Machard in feinem „Narcifs“ (Nr. 459) und feiner „gefeffelten Angelica“ 
(Nr. 460) aus der antiken und romantifchen Sage vorzutragen hat. Von kräf 
tigerer Durchbildung der Körperform fchien Lay raud’s „Marfyas“ (Nr. 411), 
hing aber für eine genauere Beurtheilung zu hoch. Sobald wir nun bei den Nym 
phen und Dryaden, bei den nackten Göttinen und dem olympifchen Demimonde- 
gefchlechte des bacchifchen Kreifes anlangen, gewinnt die Farbe an Reiz des 
Incarnates, und ftatt der mangelnden Idealität und Formenreinheit gibt es wenig- 
flens fmnlich lockendes Fieifch und Blut in diefer „claffifchen“ Walburgisnacht. 
Da wäre denn die „Diana auf der Infel Scyra“ (Nr. 125) von H. de Callias, 
die „Dryade“ (Nr. 443) von Jacques Le matte, Leon R i e f e n e r’s-„Erigone“ 
(Nr. 553), ein „Satyrweib im Bade“ (Nr. 491) von Jules M e y n i e r, „die Nymphe 
und Bacchus“ (Nr. 424) von Jules L e f e b v r e, die „Bekränzung der Ariadne durch 
Bacchus“ (Nr. 535) von Jean Poncet, Jofef Ranvier’s „Kindheit des .Bacchus“ 
(Nr. 541). Wo aber einmal die poetifche Seite der Mythe geflreift wird, da wird 
die Darftellung fofort akademifch-kühl, ftatt fich zu Stil und Idealität zu erheben; 
fo in Dupain’s «Tod der Nymphe Hefperia“ (Nr. 222). Henri Giacomotti 
ftellt bei uns wieder feine „Entführung der Amymone“ (Nr. 280) aus, die 1865 in 
Paris viel Beifall gefunden. Er ift ein Nymphenmaler par excellence, wenn ihm 
nicht gerade fromme Märtyrerbilder, wie z. B. die Zerreifsung des Hippolyt durch 
wilde Pferde, zu anderer Zeit zu fchaffen geben: Eines ein Raffinement wie das 
andere. Unter den vielen alten Bildern, mit denen man die franzöfifche Aushei 
lung decorirte, befand fich auch die „Galatea“ von Gigoux (Nr. 285), in dem 
Augenblicke dargeftellt, wo eben das Steinbild Pygmalion’s zum Leben erwacht. 
Ueber das alte Bild fetzen wir ganz einfach ein altes, aber ganz zutreffendes 
Urtheil her. „Der Gegenftand, fchon früher von Girodet behandelt“, fo äufsert 
fich darüber Dr. Julius Meyer, „reizte den Coloriften, an ihm die Kraft feiner 
belebenden Farbe zu zeigen. Aus dem wollüftigen Fleifche foll das Blut, das 
eben in den Adern zu fliefsen beginnt, glühend hervorleuchten, gehoben noch 
durch den Contrafl der Marmorfarbe, in der die Beine bis zum Knie noch gefangen 
find; was dem „Charivari“ zu der nicht unpaffenden Caricatur Anlafs gab, diefe 
Galatea als eine nackte Frauensperfon darzuftellen, die nur noch nicht ihre Strümpfe 
ausgezogen hq,t.“ 
Ueberhaupt mufs für die Götterleiber zumeiff die Nacktheit auf Beftellung, 
in Boudoir’s wie in Ateliers, herhalten; ftatt der edlen Contour der nackten 
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