Die Malerei.
85
haarfcharf nach derfelben Richtung; fie faffen das, was er gemeint, im Kern und
folgen ihm nicht blos, wie es fonft häufig in diefer Gattung der Fall ift, als
fchwächlich nachdichtende Copiften. Es ift im Allgemeinen nicht rathfam, dafs
die Maler ficli ihre Bilder herbeilefen; in diefem Falle, wo die malerifche Anfchau*
ung mit folcher Beftimmtheit hinzutritt, kann man ficli jedoch die Illuftrations
kunft fchon gefallen laffen.
Doch auch da, wo die Engländer die wirkliche Gefchichte unmittelbai
im Bilde darftellen und fie nicht blos dem hiftorifchen Romane nachmalen, vei
halten fie ficli der Auffaffung nach mehr illuftrirend, als dafs fie ficli eine eigentlich
hiftorifche Compofitionsaufgabe ftellen würden. Hier auch geht ihre Tendenz auf
das Charakteriftifche, nicht auf den idealen Augenblick in der Begebenheit, dei
künftlerifch fixirt und verewigt werden foll. „Des Herzogs von Argyll letzte 1
Schlaf“ von E. M. Ward, in lebensgrofsen Figuren gemalt, macht hievon wohl
eine Ausnahme und geht fchon im Format über die gewöhnlichen Abfichten de>
hiftorifchen Genrebildes hinaus ; auch ift die tiefe und ernfte Haltung der Farbe
fehr abweichend von dem feinen grauen Silberton und der füfsen bunten Färbung
benachbarter Bilder, fchon coloriftifch zufammenftimmend mit dem tragifchen Voi
wurf des Gemäldes. Unter den Aquarellen hat Gilbert s „Einzug der Jungfrau
Jeanne d’Arc in das befreite Orleans“ einen hiftorifch bedeutenden Zug und eine
Breite und Kraft des Vortrages, wie man fie kaum bei den Oelgemälden im
benachbarten Saale vorfand.
Dagegen nimmt Yeames in dem Bilde „Königin Elifabeth den franzöfi-
fchen Gefandten nach der Bartholomäusnacht zur Audienz empfangend“ feinen
Gegenftand beiläufig fo, als ob er zuerft für eine grofse illuftrirte Zeitung ent
worfen und dann erft in Farben übertragen wäre. Der Moment ift wohl fein
bezeichnend mit grofser vergegenwärtigender Kraft charakterifirt, aber in diefei
Weife ift man gewohnt, einen fenfationellen Staatsakt illuftrirt, nicht das hiftoiifch
Bedeulfame malerifch ausgedrückt zu fehen.
In der englifchen G e n r e m a 1 e r e i begegnen ficli zweierlei Züge , von
denen man doch glauben follte, dafs fie fehr ferne abftehen: das Phlegma und die
Sentimentalität; der Humor geht fo zwifchen durch. Empfindfame Stimmungen
drücken fich nicht blos im Genre aus, fie verbreiten auch ihre Reflexe über die
regenfeuchten Horizonte der meift elegifch gehaltenen Landfchaften, in denen
auch der übliche Regenbogen feiten fehlt. Der treffliche Philipp Calderon, ei
in dem köftlichen Bilde „Nach der Schlacht“ einen fehr gefunden Humor ausfpielt.
läfst in einem anderen Gemälde „die Seele in das Antlitz der Geliebten lieh
ausfeufzen“; S. L. Fildes („Stille und füfse Ruhe“) treibt gefellfchaftliche Con
templation im Bilde und G. F. Watts malt fogar einen rodesengel. In ie i
fentimentale Stille fchallt der Lärm ganz aulmunternd herein, den die fchottifchen
Schuljungendes verdienftvollen, bereits hingefchiedenen Sir G.Harvey machen.
Man fleht daraus, dafs die Freude über „die entlaffene Schule“ unter der Buben-
fchaft in aller Herren Länder gleich grofs ift. Auch Mark’s „Zug der Bettler zur
Stadt“ ift trefflich gemalt und humoriftifch fehr gut charakterifnt.
Unter den Volksfiguren, die, wie es fcheint, in der modernen englifchen
^Malerei nur befchränkteren Zutritt finden, ift manches Vorzügliche. In er ei te e
der „Fayencehändler“ von Nicol, ein Mufterftück jener fcharf detaillirenden
englifchen Charakteriflik, die den Menfchen fo genau ins Gehellt, ja bis in das
Gebifs des Mundes hineinfleht. Wir hätten da ein glänzendes Beifpiel jener Genre-
kunft, die ganz porträtmäfsig individualifirt, nicht denTypus oder ein Stuck Volks
leben, fondern immer nur den einzelnen Mann als folchen hebt. - a s in c et
englifchen Malerei neben den verfchiedenen, wohl aufgetakelten f ahizeugen um
Marinen auch das Schiffsvolk feine Vertretung im Genre finden mufs, verfteht lieh
von felbft. Von J. C. Hook („Des Schiffsjungen Brief“, „Aufhiffen der Segel“)
gab es in diefem Fache zwei bezeichnende Bilder. Hie und da klingt auch ins
Volksbild ein leifer Ton der Sentimentalität, aber daneben auch eine vollere und