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Einleitung.
Gebieten der Weberei, die Verwerthung finden dürften. Bei dem
Mangel an künstlerischen Traditionen hat sich bei uns der Unterricht
und das Studium guter Vorbilder als besonders förderlich für die Aus
bildung des Kunstgewerbes bewiesen. Einen hervorragenden Einfluss
auf den Fortschritt, welchen England und Oesterreich in kunstgewerb
licher Beziehung in den letzten Jahrzehnten gezeigt, haben die in
diesen Ländern bestehenden Anstalten zur Förderung der Kunstgewerbe:
das South Kensington Museum in London und das Oesterreichische
Museum für Kunst und Industrie in Wien, gehabt. Die gleichen Zwecke
verfolgt das Gewerbemuseum in Berlin und das unter C. Stegmann s
Leitung stehende bayerische Gewerbemuseum in Nürnberg, welche beide
ohne Zweifel für unser Vaterland von gleich segensreichem Einfluss
auf die Entfaltung der Kunstgewerbe sein werden.
Im Allgemeinen ist eine Besserung des künstlerischen Geschmacks
unverkennbar. Die Ungeheuerlichkeiten, welche die früheren Ausstel
lungen gerade auf dem Gebiete der Textilindustrie in besonderer Aus
wahl als „Kunststücke“ lieferten, waren in Wien fast ganz verschwun
den. Die Fabrikanten scheinen eingesehen zu haben, dass dergleichen
Dinge in der Regel auf einem Gewaltanthun des Stoffes durch das ihm
nicht gefüge Muster beruhen und daher Geschmacklosigkeiten bilden.
Es darf indessen nicht verschwiegen werden, dass gerade die schlimm
sten Beispiele dieser Gattung von deutschen Fabrikanten geliefert wor
den sind.
In mer ca ntili scher Beziehung sind in der uns vorliegenden
Epoche verschiedene Strömungen wirksam gewesen, deren Einflüsse
hier kurz gekennzeichnet werden sollen. Die Pariser Ausstellung von
1867 fiel in das Jahr nach einem kurzen, aber bedeutungsvollen Kriege,
dessen Nachwirkungen sich in eigenthümlicher Weise auf die bethei
ligten Länder geltend machten. Einen lebhaften Aufschwung des Han
dels und der Industrie in Oesterreich begleitete eine Lähmung unserer
deutschen mercantilen Verhältnisse; die politische Unsicherheit, die
stete Furcht vor weiteren kriegerischen Verwickelungen Hessen einen
• gesunden Fortschritt der Gewerbe nicht zu und verhinderten die Bethei
ligung des Kapitals an ihnen. Im Sommer 1870 brach der Krieg mit
Frankreich aus, der, wenn auch zwischen diesen beiden Völkern locali-
sirt und nur auf französischem Boden geschlagen, doch veimöge dei
innigen Beziehungen, in denen heute die gesammte civilisirte Welt zu
einander steht, von dem weittragendsten Einflüsse gewesen ist. Dei
Friede Hess für Europa endlich gesicherte Zustände erwarten und ent
wickelte eine Thätigkeit auf mercantilischem und gewerblichem Gebiete,
die das lang entbehrte und ersehnte Aufathmen der Gemüther nur
allzusehr erkennen Hess und in fieberhafter Erregung die besonnene
Ueberlegung in Beurtheilung der bestehenden Verhältnisse zu leicht
vergass. Ganz besonders mächtig war der Aufschwung in dem Lande,