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Chlor, Brom, Jod, Fluor.
Berichterstatter von competenter Seite mitgetheilt, dass die tinctoriale
Industrie in Huddersfield und in Barmen noch immer grosse Quantitäten
Brom von Stassfurt bezieht. — Die Verwendung endlich, welche das
Brom in der Form von Bromwasser als Desinfectionsmittel während
des nordamerikanischen und des deutsch-französischen Krieges gefun
den hat, ist ebenfalls eine beschränkte geblieben, obwohl sich mancher
lei Vorzüge des Broms vor dem Chlorkalk herausgestellt haben. In
Lazarethen zumal ist der Gebrauch desBromB als desinficirendes Agens
mit viel weniger Unbequemlichkeiten für die Respirationsorgane der
Kranken verknüpft, als sie das Chlor mit sich bringt.
Trotzdem, wie gesagt, das Brom in der Grossindustrie fast keine
Anwendung findet, ist seine Production doch immerhin eine ziemlich
bedeutende, wie aus den Angaben Chandler’s *) hervorgeht, denen
zufolge 1869 und 1870 allein in Nordamerika jährlich 62 500 Kg
Brom gewonnen wurden (namentlich in Tarentum, Sligo, Natrona,
Pomeroy, Ohio und Kanawha). Stassfurt producirte im Jahre 1873
20 000 Kg, England und Frankreich zusammen etwa ebenso viel.
Nach dem Vorhergehenden kann es nicht befremden, dass auch
über Methoden der Bromgewinnung wenig Neues zu berichten ist.
Für England Hess sich Leisler 2 ) ein Verfahren für Gewinnung
von Brom (und Jod) patentiren, welches darin besteht, dass man unter
Anwendung von Salzsäure und Kaliumbichromat in einer Blase aus
Eisen, welche mit einem bleiernen oder thönernen Helm versehen
ist, die bromhaltige Lauge zersetzt und das auftretende Brom mit
Wasserdampf in einen mit Eisendrehspähnen beschickten Recipienten
bläst. Hier bildet sich Bromeisen, welches sich in dem mit über
gegangenen Wasser löst und entweder nach den gewöhnlichen Ver-
fahrungsarten in andere Brommetalle verwandelt oder durch Erhitzen
mit Schwefelsäure und Kaliumbichromat auf Brom verarbeitet werden
kann. Zur Anwendung scheint dies Verfahren nie gelangt zu sein, da
es sich wenigstens für Deutschland als zu kostspielig erwiesen hat.
Man schloss sich daher 3 ) in Stassfurt der Methode der Brom
gewinnung in den Salinen (Schönebeck, Artern, Neusalzwerke) an,
welche in folgenden Operationen besteht. Die 35° B. starke, durch
Erkalten von Chlorcalcium möglichst befreite Carnallit-Mutterlauge
wird durch weiteres Eindampfen auf 40° B concentrirt. (Nach Frank
darf man jedoch in der Concentration nicht so weit gehen, da in Folge
der theilweisen Ueberhitzung der Lauge am Pfannenboden ein Verlust
an Brom in Form von Bromwasserstoff unausbleiblich ist.) Beim
Erkalten bis 25° krystallisirt dann eine Menge Chlormagnesium
(Mg Cl 2 -(- 6 H 2 O) aus, und die nun bleibende Mutterlauge enthält
') H. Chandler, Chem. News 1871. Nro. 586, 77. 2 ) L. Leisler,
Dingl. pol. J. CLXXIX, 386; Wagn. Jahresber. 1866, 179. 3 ) F. Michel,
Wagn. Jahresber. 1867, 194.
"Wiener Weltausstellung. XII.
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