I. Die Erzeugnisse der Möbeltischlerei etc. 481
dem oberflächlich blickenden, das weder an Stoff noch an Form einen
kritischen Maassstab zu legen weiss. Knauserei auf der einen, lügne
rische Grossthuerei vor der Welt und vor sich selber auf der ande-,
ren Seite sind auch in der Möbeltischlerei die ärgsten Feinde des Fort
schritts. Das zeigte sich auch bei vielen der Wiener Ausstellungsmöbel,
die, obwohl Gebrauchsmöbel, mit anmaassendem Aufputz in"die Er
scheinung traten, ohne dass das künstlerische Vermögen die Formen
zu erfüllen ausgereicht hätte. Sehr auffallend war dieser Zwiespalt
zwischen Wollen und Können bei den zahlreichen Möbeln, welche den
Wiener Tapezieren ihre Entstehung verdankten, insbesondere in der
Collectivausstellung der letzteren. Da zeigte sich dass, wie beispiels
weise in Norddeutschland vielfach die sogenannten Holzbildhauer den
Stil der Möbel zu eigenem Vortheil zu beherrschen wissen, so in Wien
die Tapeziere sich eines Theiles der Möbelproduction bemächtigt haben
und diesem Theil einen ganz eigenen Stempel aufprägen, wobei sie
nicht verschmähen, hölzerne Rahmenleisten an Kastenmöbeln mit ge
webten Borten zu benageln, oder ein ander Mal die Zimmerwände regel
recht zu polstern. Wo der Sucht nach derartigen Ausschweifungen
und auffallendem Schein die'Zügel gehalten worden, hatten die Wiener
Tischler Arbeiten von handwerklicher Tüchtigkeit geliefert, an denen
es zumal in ihrer Collectivausstellung nicht fehlte, lieber die Preise
der Gebrauchsmöbel liess sich, mit Ausnahme der ganz billigen Sorten
(„Hötelmöbel“), ein gültiges Urtheil nicht gewinnen. Die geschäftliche
Krisis, welche dem Krach auf dem Fusse gefolgt war, hatte alle Ver
hältnisse ins Schwanken gebracht, hochgespannte, in hohen Forderun
gen ausgedrückte Erwartungen sahen sich plötzlich getäuscht, während
andere noch hofften. Ob die Preise gewöhnlicher Gebrauchsmöbel von
ziemlich guter Arbeit unter normalen Verhältnissen die Preise ent
sprechender deutscher Möbel um so viel überstiegen hätten, wie in
Wien der Fall war, muss unter solchen Umständen dahingestellt blei
ben. Die gebogenen Möbel, die der Thonet’schen Fabrik an der Spitze,
nehmen hier selbstredend eine Ausnahmestellung ein,.
Welche Rolle der Möbelindustrie in den internationalen Verhält
nissen der österreichisch-ungarischen Monarchie zufällt, wird aus der
umstehenden Tabelle ersichtlich, annähernd wenigstens, da die betref
fenden Positionen des Zolltarifes und folgeweise auch die statistischen
\ eröffentlichungeh die Möbel nicht deutlich von anderen Erzeugnissen
der Holzindustrie und verwandten Industrien abzusondern gestatten.
Für die richtige Beurtheilung dieser Tabelle ist zu bemerken,
dass die Fabrikate, deren Werthe in den daselbst angegebenen Sum
men ausgedrückt sind, sich mit dem Begriff „Möbel“, welcher den Da
ten der meisten anderen Aus- und Einfuhrtabellen dieses Berichtes zu
Grunde gelegt ist, nicht decken. Aus der Position „Holzwaaren“ des
österreichisch-ungarischen Zolltarifes, welche alle Arbeiten aus Holz
Wiener Weltausstellung. III 2. ,