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Gruppe III. Chemische Industrie.
Kochen mit Kalkmilch, welcher man hier und da geringe Mengen
Aschenlauge oder Soda zusetzte, und durch nachherige Behandlung in
den gebräuchlichen Stampfwerken eine taugliche Papierfaser zu er
zeugen.
Durch die Einwirkung der Kalkmilch wird zwar die Strohsubstanz
etwas erweicht, aber die Zerfaserung wird dadurch nur wenig befördert.
Ausserdem wird durch diese Behandlung die Strohmasse tief gelb ge
färbt, und ohne Anwendung grosser Mengen von Chlorkalk lässt sich
dieselbe nicht bleichen. Man musste daher in dieser Periode darauf
verzichten, gebleichten Papierstoff zu erzeugen, und blieb die Anwen
dung dieses pi-imitiven gelben Strohstoffs auf die Herstellung gelber
Packpapiere und Pappendeckel beschränkt, bei welchen weder die gelbe
Farbe noch mangelhafte Zerfaserung in Betracht kommt.
Nachdem man im Laufe der letzten 40 Jahre in der Papierfabri
kation etwas vertrauter mit der Anwendung von Chemikalien und be
sonders das Natron zugänglicher geworden war, machten sich erhebliche
Fortschritte in der Aufbereitung des Strohs bemerkbar. Die viel energi
schere Wirkung des Natrons ermöglichte einestheils eine vollständigere
Zerfaserung und anderentheils wurde durch dasselbe ein grosser
Theil der gebildeten farbigen Substanzen in Lösung gebracht und ent
fernt. Obgleich nun damit die Möglichkeit der Erzeugung eines für
viele Zwecke genügend starken und bleichbaren Papierstoffs nach
gewiesen war, fand die Verarbeitung des Strohs doch nur geringe Ver
breitung. Die Kosten der nöthigen Chemikalien waren nicht unbeträcht
lich, aber weit mehr noch stand die Schwierigkeit im Wege, ein stets
gleichmässiges Product zu erhalten, und es verlieh zumal das Auftre
ten noch unzertheilter Strohtheilchen auf der Oberfläche des Papiers
demselben lange eine unliebsame Charakteristik. Noch vor wenigen
Jahren hörte man daher von Sachverständigen vielfach die Meinung
aussprechen, dass das Stroh überhaupt nicht geeignet sei, einen für
bessere Papiersorten brauchbaren Stoff zu liefern.
Die Verwerthung des Strohstoffs trat erst in ein neues günstigeres
Stadium, nachdem die, wie es scheint, von Amedee Mellier 1 ) zuerst
vorgeschlagene Behandlung des Strohs mit Natronlauge unter erhöhtem
Druck allmälig in Anwendung kam.
Seit jener Zeit tauchte dann eine ganze Reihe von Methoden auf,
welche zum Iheil anfangs, geheim gehalten wurden, und nach welchen
sich gebleichter Strohstoff von mehr oder weniger guter Qualität dar
stellen lässt. Die Anwendung desselben wurde bald eine sehr allge
meine, da der unterdessen immer mehr zunehmende Mangel an Hadern-
stoffen einen Ersatz dieses Rohmaterials dringend nothwendig machte.
’) Mellier’s Process wurde durch Ladet 1854 in Frankreich patentirt;
uuter Me liier’s Namen 1855 in England und Amerika.