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Gruppe III. Chemische Industrie.
Digeon x ) liess sich die Anwendung der Blätter und Früchte des
Johannisbrodbaums (Ceratonia siliqua) als Gerbmaterial (für Frankreich)
patentiren.
Eine wissenschaftliche Begründung des Wesens der Gerberei ist
erst eine Errungenschaft des letzten Decenniums. Die früheren Ansich
ten gingen alle dahin, dass das Leder eine chemische Verbindung der
thierischen Haut mit Gerbstoff sei.
Erst die bahnbrechenden Untersuchungen Fr. Knapp’s 3 ) zeigten
auf das Schlagendste, dass Leder unmöglich eine chemische Verbindung
sein kann. Es gelang ihm ohne allen Gerbstoff Leder zu erzeugen durch
Verdrängen des Wassers aus den Poren der Haut mittelst Chlorcalciums
und wasserfreien Aethers und durch Zusammenbringen eines solchen
Leders mit Wasser es wieder in Haut zu verwandeln. Knapp’s Ver
suche zeigten, dass bei der Gerbung das Gerbmittel nicht in bestimmten
unveränderlichen Verhältnissen von der Haut aufgenommen wird, son
dern dass diese ganz von der Concentration und Natur des Lösungs
mittels abhängen. Die Gerbmittel haben keine andere Bedeutung, als
dass sie in die Poren der Haut eindringen, die Fasern umhüllen resp. sich
auf ihnen durch Flächenanziehung niederschlagen. Dadurch wird das
Zusammenkleben der Fasern beim Eintrocknen der Haut verhindert,
sie bleibt geschmeidig und biegsam, ist in Leder verwandelt. Leder ist
keine chemische Verbindung, sondern ein mechanisches Gemenge; es
ist Haut, deren Fasern durch Umhüllung mit einem Gerbmaterial ver
hindert sind, beim Trocknen zusammenzukleben. Bei der Lohgerberei
wird die Faser nach dem Präpariren mit Kalk mit Gerbstoff, bei der
Weissgerberei mit einem Thonerdesalz imprägnirt, bei der Sämisch
gerberei mit Fett überzogen. Ganz ebenso wirken auch Eisenoxyd-
und Chromoxydsalze und Pikrinsäure. Knapp hält die Gerberei nur
für einen speciellen Fall des Processes der Färberei und vergleicht die
Verschiedenheit der Kraft, mit welcher bei der Loh- und Weissgerberei
der Gerbstoff auf der Haut festgehalten wird, mit den echten und un
echten Farben.
In seiner zweiten Untersuchung über das Wesen der Weiss
gerberei 3 ) machte Fr. Knapp die Wirkung des Alauns und des Koch
salzes und der sogenannten „Nahrung“ zum Gegenstand des speciellen
Studiums.
Von weiteren neueren Arbeiten über die Theorie des Gerbens ist
zunächst zu erwähnen die Untersuchung von A. Rollet 4 ), welcher auf
mikroskopisch - chemischem Wege nachwies, dass bei Behandlung des
!) Digeon, Bull. soc. chim. 1873, XX, 333. 2) Knapp, Natur und
Wesen der Gerberei und des Leders, München 1858; Dingl. pol. J. CXLIX,
305, 378. 3 ) Knapp, Dingl. pol. J. CLXXXI, 311. *) Rollet, Sitzungs
bericht d. Wiener Akad. XXX, 37.