Piianzenfasei’.
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Je nach dem Grade der Entwickelung der Stengel wird durch
diesen Process die Rinde mehr oder weniger schnell erweicht und be
sonders bei jungen Stengeln zerfällt sie nach kurzer Zeit schon bei
leichter Berührung in eine faserige Masse. Es hat den Anschein, dass
bei Anwendung der Wasserröste die Intercellularsubstanz, welche die
Bastzellen der Böhmeriarinde zusammenhält, auffallend leicht angegriffen
und gelöst wird, was zur Folge hat, dass beim darauffolgenden Ab
streifen der Rinde sich die Bastschicht zu einer feinfaserigen Masse
zertheilt, welche sich mit den übrigen weniger angegriffenen äusseren
Rindenelementen derartig verwirrt, dass die weitere Reinigung der Fa
ser dadurch besonders erschwert wird. Es schliesst dieses jedoch nicht
aus, dass bei entsprechender Vorsicht die Wasserröste in Anwendung
gebracht werden kann und es spricht hierfür die allerdings vereinzelte
Thatsache, dass auf Sumatra die Böhmeriafaser mittelst einer Wasser
röstmethode abgeschieden wird.
Vor einigen Jahren machte Th. Moerman in Gent 1 ) darauf auf
merksam, dass sein verbessertes Röstverfahren auch für die Verarbei
tung der Bökmeriastengel mit besonders günstigem Erfolg anwendbar
sei. Dieses Verfahren ist im Grunde genommen eine Warm wasserröste
und soll ähnlich wie diese in gemauerten Cisternen ausgeführt werden,
welche durch Dampf erwärmt werden können. Das Wesen der von
Moerman eingeführten Verbesserung soll aber darin bestehen, dass
dem Röstwasser eine minimale Quantität (Y 2 bis 1 p. C. des zu röstenden
Materials) einer Lösung eines Polysulfides (erhalten durch Kochen von
Schwefel mit Soda, Kalk oder argüe (!) sowie eine gewisse Menge
sehr feingepulverter “Steinkohle zugesetzt wird. Hierdurch sollen nicht
allein die unangenehm riechenden Producte absorbirt und zersetzt
werden, sondern überhaupt der Verlauf der Operation viel leichter zu
reguliren sein, als dieses bei dem gewöhnlichen Verfahren der Fall ist.
Moerman’s Erklärung ist offenbar ganz unzulässig und wenn auch
zugegeben werden mag, dass die Gegenwart alkalischer Substanzen
einen gewissen günstigen Einfluss ausübt, so ist dieses doch wohl kaum
von so geringen Mengen zu erwarten und noch viel unverständlicher
bleibt die Wirkung einer Substanz wie gepulverte Steinkohle.
Es wurde schon gelegentlich bemerkt, dass die Böhmeriafaser trotz
ihrer vortrefflichen Eigenschaften nur sehr allmälig Eingang in der
europäischen Textilindustrie gefunden hat und in Wirklichkeit hat sie
nur erst in den letzten zehn Jahren einige Bedeutung erlangt, indem
sie fast ausschliesslich zur Erzeugung gewisser seideartig glänzender
Damenstoffe benutzt wurde. Ganz in neuerer Zeit scheinen nun aber
diese Stoffe aus der Mode gekommen zu sein und wurde deren Fabri
kation daher fast gänzlich aufgegeben. In Folge dessen haben sich
*) Th. Moerman, La Bamie. S, 82. Gand 1871.
Wiener Weltausstellung. III. i. 2.
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