Gruppe V.
189
In der neueren Zeit verarbeitet man in Deutschland ausser den
eigenen Wollen russische, ungarische und die vorzugsweise ihrer
Ausgeglichenheit wegen geschätzten australischen und Capwollen;
so z. ß. sortirte eine sächsische Kammgarnspinnerei im Jahre 1870
ihr Material aus 31 Procent Colonialwolle, 28 Procent ungarischer,
27 Procent deutscher und 14 Procent russischer Wolle. In dem
rheinischen Fabricationsbezirk werden auch La Plata-Wollen ver
arbeitet. Der Verbrauch an Colonialwolle ist, besonders in den letz
ten 10 Jahren sehr rasch gewachsen. Die Einfuhr an Colonialwolle
nach England betrug 1,286,000 Ctr. im Jahre 1860 und 2,292,000
Ctr. im Jahre 1868; hiervon verbrauchte England selbst 1,017,000 Ctr.
im Jahre 1860 und 1,379,000 Ctr. im Jahre 1868. Daher ist der
Export an Colonialwolle aus England von 269,000 Ctr. im Jahre
1860 auf 913,000 Ctr. im Jahre 1868, also in 9 Jahren auf mehr als
das Dreifache gestiegen. An diesem Wachsthum participirt, nächst
Frankreich, Deutschland am meisten; der Export der russischen
Wollen betrug 100,000 Ctr. im Jahre 1868, der der österreichischen
225,000 Ctr. im Jahre 1869.
Die Producte der Streichgarnspinnerei, welche, ebenso wie die
Kammgarnspinnerei, unter vollständiger Beseitigung der Handarbeit
lediglich mit Maschinen betrieben wird, sind bei weitem zum grössten
Theil für die heimische Weberei bestimmt, und nur wenige Garne,
insbesondere die mit Baumwolle, bisweilen auch mit Seide gemischten
sogen. Vigognegarne, deren Fabrication ihren Sitz vorzugsweise im
Königreich Sachsen hat, w'erden für den auswärtigen Handel, haupt
sächlich nach England und Russland, producirt. Die Weberei wird
noch vielfach auf Handstühlen betrieben, doch hat die mechanische
Weberei in den letzten Jahren einen sehr bedeutenden Aufschwung
genommen. Cottbus z. B. hatte im Jahre 1861 nur 59 mechanische
Stühle, 1870 dagegen 397, während die Zahl der Handstühle mit
ungefähr 600 unverändert geblieben ist.
Die Zahl der Streichgarnsmindeln im Deutschen Reiche beträgt
ungefähr 1,200,000 in etwa 1800 Spinnereien. Von dieser Spiiidel-
zahl kommen 65 Procent auf Preussen, 27 Procent auf Sachsen, der
Rest auf die übrigen Länder. Die Zahl der Handstühle beläuft sich
auf 12,000, die der mechanischen ist im beständigen Wachsen be
griffen, hat aber wahrscheinlich die der Handstühle gegenwärtig noch
nicht ganz erreicht.
Die hervorragendsten Fabricationsbezirke der Tuchmanufactur
sind die Rheinprovinz (mit einem Umsatz von 25 Millionen Thaler),
Schlesien, Mark Brandenburg, Provinz Sachsen und Königreich
Sachsen, und hieran schliessen sich Württemberg, Bayern (die Pfalz)
und Hessen. Die fabricirten Artikel, die ihrem Bestimmungsorte ge
mäss in Qualität, Farbe und Appretur verschieden hergestellt wer
den, sind zumeist Tuche, Doublestoffe, Buckskins, wasserdichte Stoffe,
Melton, Cheviots, Spanisch Stripes, Flanelle, Plüsche, Pelzimitationen,
Decken; sie dienen theils für den einheimischen Bedarf, theils wer
den sie exportirt, und zwar hauptsächlich nach den Vereinigten
Staaten, Südamerika, Westindien, Mexico, Ostindien, Japan, Spa-