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Damenkleiderstoffe, durch welche dieser Jndnstriedistrict zu stattlichem Ansehen gelangte;
die Firmen C. P. Hoffmann, Geipel nnd Jäger, Adler und Klaubert, Weiß,
Weigandt, Panzer n. s. w. gebenZeugniß dafür. Denselben Fabrikationszweig führte
der vielverdiente Industrielle und Politiker Karl Wolfrum (geboren 1813, gestorben
1888) auch in Aussig ein, ebenfalls nicht ohne Nachfolger zu finden.
Zur selben Zeit wie Wunderlich in Asch und Wolfrum in Aussig legte Benedikt
Schroll in Hauptmannsdorf bei Braun au den Grund zur Firma „Benedikt Schrotts
Sohn", deren Träger, Josef Edler von Schroll (geboren 1821, gestorben 1891), den
alten guten Namen seiner Vaterstadt in der Geschäftswelt wieder zu großen Ehren brachte.
Die Errungenschaft des Jahres 1848, die Aufhebung des Unterthänigkeits-
verbaudes, übte, wie sich in jeder Hinsicht schlagend Nachweisen läßt, auf die Cultnrver-
hältuisse des Landes,vorzüglich aber auf Landwirthschaft und landwirthschaftliche Industrie
eine überaus wohlthätige Rückwirkung. Den Zweck eines eben im Jahre 1848 vom Laudes
präsidium ins Leben gerufenen „Ceutralcomite's zur Unterstützung der uothleidenden Erz-
und Riesengebirgsbewohuer" nennt dessen Name. Die Creiruug einer ständigen legalen
Vertretung der gewerblichen und mercantilen Interessen insgesammt durch das Institut
der Handels- und Gewerbekammern bildet einen Markstein auch in der böhmischen
Jndustriegeschichte. Mit ihr fällt die Einführung des Zolltarifs vom 6. November 1851,
das heißt eines gemäßigten Schutzzollsystems an Stelle der alten übermäßigen Prohibition,
zeitlich, aber auch ursächlich zusammen. Es war der dringende Wunsch heimischer Industrie
und mehr noch des Handels — und dieser Wunsch wurde laut sobald dem Handel und der
Industrie zu sprechen vergönnt war — dem Verkehr freiere Bahnen zu öffnen. Ein Schritt
nach vorwärts war der Zoll- und Handelsvertrag vom 19. Februar 1853 mit Preußen
und den mit Preußen zollverbündeten Staaten. Die böhmischen Kammern verstanden es,
auf die Leitung der Handelspolitik des Reiches auch später ihren Einfluß zu wahren.
Seither hat sich in Böhmen schrittweise die Umwandlung des Gewerbes zur Industrie
überall dort vollzogen, wo der handwerksmäßige Betrieb nicht als natürliche Voraus
setzung bedingt wird. Nicht ein Produktionszweig blieb zurück, eine Aufzählung wäre
von Überfluß. Naturgemäß am augenfälligsten zeigte sich dieser Proceß bei der modernsten
aller modernen Industrien: der Maschineufabrikation, wie schon die Namen
Ringhoffer, Rnstvn, Danek, Skoda, Bolzano, Tedesco, Umrath, Märky,
Bromovsky n. s. w. beweisen, deren Zahl leicht um das Doppelte vermehrt werden
könnte. Nur eines Factums muß uothwendig noch gedacht werden: der Ausschließung des
sogenannten Duper Braunkohlenbeckeus. Das „größte Kohlenslötz des Eoutiueutes",
dessen unermeßlicher Schatz, wie einmal behauptet wurde, geeignet wäre, „falls im
übrigen Europa der Brennstoff ausginge, dasselbe durch mehrere Jahrhunderte mit Kohle
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zu versorgen", wurde der böhmischen Industrie erst in den letzten Decennien nutzbar
gemacht. Graf Albert Nostitz in Tarmitz war der Erste, der bei dem Kohlenbergbau
den Maschinenbetrieb einsiihrte (1857). Seither stieg die Kohlenförderung in diesem
Reviere auf jährlich eine Milliarde Zollcentner. Damit ging der Ausbau des Eisenbahn
netzes im nordwestlichen Böhmen Hand in Hand, damit aber auch die außerordentliche,
stetige Hebung und Förderung der Industrie jenes Landestheils, speciell der Verwaltungs
bezirke Aussig-Teplitz. Bereits im Jahre 1858 entstand die chemische Fabrik in Aussig,
das größte continentale Unternehmen dieser Art. Da aber das von weiland Kaiser Josef ll.
aufgestellte Problem der Anwendung der Kohlenfeuerung bei der Glasindustrie allerdings
bereits gelöst war, so war es eine natürliche Folge, daß in genanntem Reviere nach seiner
ganzen Ausdehnung eine sehr große Zahl Erzeugungsstätten eben ihrer Gattung (für Tafel-
und Hohlglas) errichtet wurde, darunter vor Allem die der Nussiger Glashütten
gesellschaft (1871) und die Fabriksanlagen von Friedrich Siemens zu Neusattel-
Elb o gen (1878). Unter den übrigen namhaften Gründungen kann selbstverständlich
jene des Teplitzer Walzwerkes nebst Bessemerhütte (1873) nicht vergessen werden.
Von Anfang an betheiligte sich Böhmen an den modernen Friedensfesten der con-
currirenden industriellen Welt, den internationalen Ausstellungen in London, Paris,
Wien n. s. w., allerwärts mit anerkannt durchschlagendem Erfolge. Nach mehr als fünfzig
jähriger Unterbrechung wurde in Prag auch wieder eine Land es-Industrieausstellung
(1891) abgehalten, die sich des Allerhöchsten Besuches und der vollsten Anerkennung
Seiner Majestät des Kaisers erfreute. Je mehr wir uns der Gegenwart nähern, desto
ansehnlicher häuft sich die Masse industriegeschichtlichen Details, das sich in Kürze nicht
mehr bewältigen läßt. Jedwedes Ganze aber — das zeigt sich wohl nirgends deutlicher
als in der Geschichte des Handels und der Industrie — wird schließlich doch nur von
Einzelnen getragen und die größere oder geringere Bedeutung der Individualitäten läßt
eben die Gesammtheit groß oder klein, Werth oder unwerth erscheinen. In erster Linie
maßgebend für die von nun an wohl unbestrittene, weil ganz unbestreitbare Thatsache
der führenden Stellung Böhmens in allen Volks- und staatswirthschaftlichen Belangen
Österreichs war der Reichthum dieses Landes an geeigneten, tüchtigen Persönlichkeiten
auf den hier in Frage kommenden Gebieten. Relativ nur Wenigen von ihnen konnte an
dieser Stelle andeutungsweise ein bescheidener Nachruf gewidmet werden; den Lebenden
möge die Nachwelt die gebührende Würdigung wiederfahren lassen.
Mehr als Worte, ja mehr als Namen beweisen Zahlen. Es möge gestattet sein, am
Schlüsse wieder zum Anfang znrückznkommen und dem dort, in der Einleitung, Gesagten
eine ziffermäßige Übersicht der industriellen Production Böhmens auf Grund der
statistischen Erhebungen (vom Jahre 1890) beizufügen.