EINLEITUNG
Dem für die europäische Kunst so bestimmenden Naturalismus ist eine besondere
Spielart eigen: die objektiv-richtige Wiedergabe des Gesehenen in subjektiver
Sicht. Objektivität und Subjektivismus sind an sich Gegensätze; und doch ist
ihre Verbindung möglich, ja gerade aus ihr entstehen Bilder, die besonders an
sprechend sind. Es entstehen aus ihr Szenenbilder, die Handlungsabläufe so
zeigen, wie sie sich abgespielt haben; aber sie werden darüber hinaus gezeichnet
auf Grund des Bewußtseins ihrer inneren Bedeutung. Personen werden im Porträt
erfaßt und wiedergegeben, wie sie im Leben waren einschließlich der Rolle, die
sie in diesem spielten. Vom Künstler erstrebt, vom Modell erhofft, vom Be
schauer gefordert wird die unzweideutige Offenbarung des Charakters des Por
trätierten im Porträt. Vor allem aber entstehen Bilder landschaftlicher und
architektonischer Situationen, aus dem sich Verbinden und Zusammenwirken
von Objektivismus und Subjektivismus. Sie „stimmen“ zwar, doch darüber
hinaus geben sie die Impression wieder, die der Künstler von ihnen hatte. Land
schaftliche Details wie Bauwerke übernehmen geradezu die Rolle von Einzel
persönlichkeiten in porträthafter Erfassung. Gilt es doch auch hier nicht nur
ihre äußere Gestalt, sondern ihr „Wesen“ und ihre Bedeutung wiederzugeben.
Bei Bauwerken ergibt sich sogar eine besonders interessante Situation, da das
Werk eines Künstlers von einem anderen Künstler gesehen, sozusagen gebrochen
durch den Blick eines anderen, gezeigt wird. Nicht nur das Dargestellte ist dabei
ein Kunstwerk, sondern auch die Darstellungsweise, das Bild.
Das aber macht den besonderen Reiz der Vedute aus, dieses Schweben zwischen
Objektivität und Impressionismus, wie auch die Verehrung des einen Künstlers
vor dem anderen, jenem der abbildet, was der andere schuf. Beide kommen dabei
zu Wort, denn es wird ein Kunstwerk gezeigt, das für sich spricht, ganz besonders
durch die Sprache dessen, der es abgebildet hat.
7