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Die wohlfeile Arbeitskraft der dichten Bevölkerung des Erzgebirges wurde in diesem
Jahrhundert von den verschiedensten Unternehmungen weither aufgesucht. Graf Rottenhan
regte auf seiner Herrschaft Rothenhaus die Erzeugung von Berchtesgadener Holzwaaren
an, aus der sich die Spielwaarenfabrikation auf dem Erzgebirge entwickelte ; aus Sachsen
wurde die Strohflechterei eingeführt, Wiener und Frager Unternehmer führten die Hand
schuhnäherei, die Weissstickerei und Buntstickerei ein; für rasch vorübergehende Moden
in Fosamentirwaaren, wie z. B. jene der Glasperlenfransen, wurden auf dem Erzgebirge
immer Tausende von Händen bereit gefunden, die bald erlernte Arbeit aufzunehmen,
wozu im Riesengebirge, wo die Glasperlen erzeugt wurden, aus den Kreisen der ständig
beschäftigten Gewerbsleute keine ausreichenden Kräfte gewonnen werden konnten.
In solchen Zeiten wird das Klöppelpolster bei Seite gesetzt und die gebotene lohnende
Arbeit von zahlreichen Händen ergriffen. Nimmt das neue Geschäft wieder ab, oder geht
die wechselnde Mode ganz ein, so wird das Klöppelpolster wieder hervorgesucht oder auch
neu angefertigt. Ein kleiner Büschel feines Heu, eine Elle Kattun als Polsterüberzug, eine
Pappschachtel, worauf das Polster festruht, ein Paar Hundert Stecknadeln und eben so
viele Klöppeln, Alles um einen bis fünf Gulden zu beschaffen, sind die gesammte Einrich
tung. Der Spitzenhändler bringt die Musterunterlage und den Zwirn oder die Seide,
und die Arbeit kann wieder aufgenommen werden. Sie wird auch bei regelmässigem
Geschäftsgänge jährlich mehrere Male unterbrochen. Während der Heuernte, bei dem Legen
und Herausnehmen der Kartoffeln und anderen Feldarbeiten eilen Tausende Arbeite
rinnen vom Klöppelpolster weg und arbeiten in der Feldwirthschaft. Wenn in der Saazer
Gegend die Hopfenernte beginnen soll, wozu viele Hände nothwendig sind, um in kurzer
Zeit die Hopfenblüthen von den Ranken einzeln abzubrechen, ziehen ganze Schaaren von
Weibern und Männern aus dem Erzgebirge in das Flachland herab und arbeiten hier zwei
bis drei Wochen lang, worauf sie wieder heimkehren.
Berücksichtigt man diese Verhältnisse, so wird man begreifen, dass über die Anzahl
der Spitzenarbeiter auf dem böhmischen Erzgebirge weit auseinander gehende Angaben ge
macht werden.
Ein Bericht der Egerer Handels- und Gewerbekammer gibt die Anzahl der Spitzen-
klöppler in den letzten Fünfziger-Jahren auf 40.000 bis 60.000 an. Der Bericht von
Maximilian Dormitzer und Dr. Edmund Schebek an das Gentral-Comite zur Förderung der
Erwerbsthätigkeit der böhmischen Erz- und Riesengebirgs- Bewohner vom Jahre 1862
findet diese Angabe weit übertrieben.
Die officielle Skizze der volkswirthschaftlichen Zustände des österreichischen Kaiser
staates, welche im Jahre 1862 aus Anlass der internationalen Ausstellung zu London vom
k. k. Ministerium für Handel und Volkswirthschaft veröffentlicht wurde, gibt die Zahl
der mit der Erzeugung ordinärer Spitzen Beschäftigten auf 8000, die Zahl der Arbeiterinnen,
welche Valenciennes, Points und Platspitzen erzeugen, auf 4000 an.
Das Richtige scheint die Annahme zu treffen, dass auf dem Erzgebirge 40 bis 60 Tausend
Klöppelpolster stehen, welche alle aber nur selten und nur aul kurze Zeit in Thätigkeit ge
setzt werden. Erst in neuerer Zeit wurden auch die mit der Nadel herstellbaren Spitzen
auf dem Erzgebirge in Aufnahme gebracht und durch die Anwendung von guten Zeich
nungen für das Ornament der Spitzen ein neuer Aufschwung zum Kunstgewerbe und zum
Fabrikatioiiswesen angebahnt, das die Spitzen-Erzeugung auf dem böhmischen Erzgebirge
zu einem Industriezweige mit einem stetigen Arbeiterstand ausbilden wird.
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