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felder aus, über und unter diesen thürmen sich tausend Klafter
hohe Felsenwände auf, welche sich in kühnen Schwingungen ge
gen den Gipfel hinziehen. Vielleicht zeichnete die grossartige
Natur nirgend solche grelle Contraste nebeneinander, als gerade
hier, nirgend wechseln miteinander so häufig wie hier die liebliche
Anmuth mit finsterm Grausen. Die Bewohner der Ebene stellen
sich die Bildung des Alpen-Gebietes gewöhnlich als einen lang
samen Uebergang von der Thalgegend bis zum Gipfel vor. Diese
Form des langsamen Ueberganges ist aber nur äusserst selten
und nur an einzelnen Alpen oder Bergplateaus zu sehen. Gewöhn
lich und besonders bei Kalkgebirgen liegen die Gebirgsweiden
schon zwischen scharfen Abhängen, Bergschluchten oder Kluften,
lieber diese erheben sich wieder neue Gebirgsgrate und Felsen
stufen, welche bald schwächer bald schärfer hervortreten und mei
stens mit Waldstrecken bewachsen sind, oder hie und da durch
Weiden und Steinfelder unterbrochen werden; nur wenn wir über
diese hinaus sind, kommen die Alpenwiesen, welche sich in grös
serer oder geringerer Ausdehnung bis zur Grenze des organischen
Lebens ausdehnen. An einzelnen Orten herrscht eine unendliche
Abwechslung in der Vertheilung der grünen und grauen Farbe,
zwischen den Weiden und berasten Gebirgslunten, den Felsen
und Felsenklüften.
Andere Felsengipfel erscheinen uns wie Gerippe; ihre kahle
Oberfläche bedeckt kein Busch, ihre scharfen Grate werden durch
keinem Rasenpolster abgerundet, deren Schlupfwinkel geben
keinen organischen Leben Aufenthalt. Das Ganze ist ein abge
storbener Felsenhügel, mit ausgewaschenen Vertiefungen und zak-
kigen Klüften, deren Färbung grau, weisslich, jedoch in verschie
denen Richtungen hin veränderlich, bald dunkel bis ins Schwarze,
bald gelblich bis zur weissen Farbe. —
Sehen wir uns die organischen Wesen näher an. Die Reprä
sentanten der alpinen Flora sind beinahe ohne Ausnahmen mehr
jährige Pflanzen, was auch so sein muss, weil es sonst leicht ge
schehen könnte, dass durch eine ungünstige Witterung das ganze
Pflanzenleben auf Jahre hinaus vernichtet würde, indem die Sa
menbildung nicht zu Stande kam. Die perennirenden Pflanzen
dagegen, welche sich durch Wurzelbildung und Rhizome vermeh
ren, können einen bessern Sommer abwarten, da sich dieselben
auch durch Saamenbildung vermehren und auch auf weite Strek-
ken ausbreiten können. Nachdem jedoch selbst in günstigen Jah
ren auf dem hohen Gebirge an besonders schattigen und feuchten