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DIE VOLKSKUNST IN VOLKSWIRT,
SCHAFTLICHER UND KULTURELLER HIN,
SICHT.
I. SPITZENINDUSTRIE.
ie Fehler der offiziellen Kunstpolitik, die auf Ver,
nichtung der alten charakteristischen Volkskunst
hinzielt und an Stelle des verschütteten künstle,
rischen Erbes die Nachahmung von angeblich „gang,
baren Mustern“ im Wege der kunstgewerblichen Fachschulen,
und des sogenannten, die künstliche Ideenzufuhr besorgenden
staatlichen Lehrmittelbureaus zu züchten strebt, wurden in
dem allgemein informierenden Artikel „Die Volkskunst und
die österreichische Unterrichtsverwaltung“ im 5. Heft der
Hohen Warte nachgewiesen.
Die Bedeutung der alten volkstümlichen Kunst wurde in
ihrer volkswirtschaftlichen, sowie in ihrer ästhetischen Be,
ziehung klargelegt, und es wurde dabei, vielleicht zum ersten,
mal, auf die eminente Gefahr aufmerksam gemacht, daß mit
dem völligen Aussterben der originellen Volkskunst der
Zusammenbruch der Kultur sowie der wirtschaftliche Nieder,
gang Hand in Hand geht. Die bedeutenden Reste einer wirk,
liehen wurzelhaften Volkskultur, die man in der Provinz
noch in entzückenden Beispielen antrifft, vom Hausrat bis
zum Städtebau, sind auf die alte volkstümliche Kunst gegründet.
Eine Politik, die auf deren Vernichtung ausgeht, befindet
sich naturgemäß auf dem Holzweg.
Was die neue Zeit bisher an Stelle des Alten gesetzt hat,
sind größtenteils Werke der Schablone, der Routine, der
Unkunst, des Vandalismus. Die künstlerische Bildung ist
heute noch nicht so allgemein und so erstarkt, um eben,
bürtig Neues an Stelle des Alten zu setzen. Wir müssen
uns darum hüten, die Wurzeln eines Baumes, der so edle
Früchte getragen hat, anzugreifen.
Es heißt zwar, daß die alte Kunst, und Hausindustrie arg
Not leide und auf eine konkurrenzfähige Stufe gebracht
werden müsse. Das volkswirtschaftliche Problem, vor das
unsere Kunstpolitiker gestellt werden, ist aber keineswegs
dadurch zu lösen, daß man der Volks, und Hauskunst
„gangbare Muster“ verabreicht und ihre Eigenart ertötet,
sondern dadurch, daß man den Erzeugnissen der alten Volks,
kunst das gebührende künstlerische Ansehen und größere
Absatzgebiete verschafft. Der Ausgangspunkt für die Kunst,
politik muß die Erkenntnis der für die Volkswirtschaft un,
schätzbaren WERTBILDENDEN KRAFT sein, die in der
künstlerischen, dem Heimatboden entspringenden ORIGINAL,
LEISTUNG, also zum Teil IN DER ALTEN VOLKSKUNST
vorhegt. Nur auf Grund einer originellen Volkskunst kann
eine Ausfuhr, und Handelspolitik erzielt .werden, niemals
aber kann durch die Handelspolitik eine Volkskunst erzielt
werden. Das Problem besteht für unsere Kunstpolitiker
nicht darin, „Kunst aus eigenem zu machen“, sondern es
kann lediglich nur darin bestehen, DEN VERTRIEB AUF
EINE MODERNE GRUNDLAGE ZU STELLEN, um
nicht allein die Allgemeinheit für die Sache zu gewinnen,
sondern auch dem wucherischen Händlerunwesen, das sich
auf Kosten der armen, weltunerfahrenen Produzenten be,
reichert, das Handwerk zu legen.
Die herrschende Kunstpolitik ist leider von anderen An,
schauungen geleitet. Die alte Volks, und Bauernkunst „geht“
nicht, also weg damit!
Welches Maß von Talentlosigkeit gehört dazu, um zu
glauben, daß die Liebedienerei vor dem ungebildeten oder
verbildeten Publikumsgeschmack für die Volkswirtschaft und
Kultur wichtiger ist als die wertbildende Kraft des schöpfe,
rischen Genius eines Volkes oder Stammes!
Ist denn überhaupt ein Versuch gemacht worden, der Volks,
und Bauernkunst Absatzgebiete im großen Stile aufzusuchen ?
Ist sie jemals auf den Weltmarkt gebracht worden? War
sie auf die Weltausstellung nach St. Louis gebracht worden?
Trotzdem nichts dergleichen geschehen ist, besitzt die alte
Volks, und Bauernkunst im geheimen eine Weltmarkt,
Stellung. Die offizielle Erklärung, daß diese Kunst nicht
konkurrenzfähig sei, kann durch ein einziges Beispiel wider,
legt werden. Ein einzelner Mensch in Wien exportiert volks,
tümliche Gläser, alte Geburtstagsgläser und ähnliche Er,
Zeugnisse der alten Glasindustrie, nach AMERIKA und er,
zielt einen Jahresumsatz von rund 40.000 Gulden!
Es ist bezeichnend, daß unser Kunstgewerbemuseum nichts
an solchen heimatlichen Erzeugnissen aufzuweisen hat.
Ein Goldstrom könnte ins Land geleitet werden und dem
Künstler im Volke zufließen, jede Provinz könnte sich zu
einem Kulturzentrum aus eigenem Können entwickeln —
allein es fehlt der rechte Volkswirt, der rechte Kunstpolitiker,
und darum liegen alle Zweige der Volkskunst brach und
sind am Aussterben.
Umsomehr ist es notwendig, das Verkehrte eines Systems
zu zeigen und damit vielleicht einer künftigen gesunden
Kunstpolitik Vorarbeit zu leisten. Die vernünftige Kunst,
politik wird aus der verallgemeinerten künstlerischen Bildung
hervorgehen, und diese selbst muß auf der Kenntnis der
lokalen Kunst und ihrer Bedingungen aufgebaut werden.
Der allgemein informierende Artikel über die Lage der
Volkskunst im Verhältnis zur derzeitig herrschenden Kunst,
politik, der im vorigen Heft erschienen ist, bedarf nun der
Ergänzung durch eine Reihe von Untersuchungen, die sich
mit den einzelnen Zweigen der volkstümlichen Kunst be,
fassen, ihre ästhetische, wirtschaftliche und kulturelle Be,
deutung darlegen und die Fehler des Systems offenbarer
machen.
In den Mitteilungen des Vorheftes ist unter anderem bekannt,
gegeben worden, daß moderne Entwürfe für Spitzenmuster
zur Nachahmung jenen Gegenden verabreicht werden, die
über eine alte volkstümliche Spitzenkultur verfügen, über
alte bewährte Techniken und daraus entwickelte Muster, die
mit ihren heimatlichen Namen den innigen Zusammenhang
mit dem Volksleben an den Tag legen, wie Dr. M. Haber,
landt im Museum für österreichische Volkskunde an den
Neuerwerbungen des von ihm geleiteten Museums gezeigt hat.
Den Forschungen des Lehrers Josef Blau in Silberberg,
Böhmerwald, ist die intimere Kenntnis der Muster und ihrer
aus Naturvergleichen abgeleiteten Benennungen zu danken.
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