74
GH. IV. NAHRUNGS- UNI) GENUSSMITTEL ALS ERZEUGNISSE DER INDUSTRIE.
Schweden mag auch erwähnt werden, dass
man in den letzten Zeit an einigen Orten
angefangen hat, sog. Kalkzucker als einen
angemessenen Rohstoff für die Runkelrüben-
Zuckerfabriken herzustellen. Da die lan
gen Transporte und die in weiter Ferne
von einander belegenen Fabriken es un
möglich machen, die Runkelrüben in un
veredeltem Zustande nach dem Fabrikations
orte zu schaffen, so hat man begonnen Ver
suche damit anzustellen, als ein Haus- und
Nebengewerbe des Landbaues die Runkel
rüben so zu behandeln, dass dieselben ge
rieben werden, der Saft ausgepresst, mit
telst Kalkmilch unter Erwärmung geklärt
und nach einer Seihuug zu einer Consi-
stenz von 30 bis 32 Graden Baume oder
zu etwa 1"26 specif. Gewicht eingekocht
wird. Nach der Erkaltung des Saftes wird
neugelöschter Kalk hinzugesetzt, da sich
unmittelbar der Kalkzucker als eine kör
nige oder grausartige Masse bildet. Nach
angestellten Versuchen, die schon 1870 in
der agricultur-chemischen Versuchsanstalt
der Königl. Akademie der Landwirthschaft
in Stockholm angestellt wurden, hat man
darauf, doch nur versuchsweise und in un
bedeutendem Massstabe, nach der erhaltenen
Anweisung Kalkzucker in Blekinge und auf
Äräs in Westergötland hergestellt und es
ist an mehren Orten die Rede davon, klei
nere Fabriken zur Kalkzuckerzubereitung
anzulegen. Man meint, dass diese Fabriken
billig und leicht anzulegen sind. Dadurch
dürfte der Anbau der Runkelrüben im Lande
allgemeiner in Gang kommen.
Man hat es nämlich zur Genüge er
forscht, dass die schwedischen Runkelrüben
vollkommen eben so gut und zuckerreich
sind, wie die in Deutschland, Frankreich
und Belgien geernteten, dass aber gewisse
Umgestaltungen, welche die Ökonomie der
Landwirthschaft betreffen, erst durchgeführt
werden müssen, ehe man den Anbau der
Runkelrüben so ordnen kann, dass sich ei
ne weitumfassende und für das ganze. Land
wichtige Industrie darauf gründen lässt.
Zur Erreichung dieses Zieles scheint die
Zubereitung des Kalkzuckers, besonders in
Ansehung der Naturverhältnisse Schwedens,
von einer gewissen Wichtigkeit werden zu
können als eine wichtige Uebergangsform
der Entwickelung eines für den Landbau
und die Industrie des Landes höchst be
deutungsvollen Nahrungszweiges.
Branntwein. Die Zubereitung des Brannt
weins ist in Schweden von Alters her nur mit
Ausnahme von kurzen Unterbrechungen aus
schliesslich ein Nebenzweig des Landbaues
gewesen. Das Recht einer solchen Zube
reitung kam im Allgemeinen jedem Land
besitzer zu und durfte nach seinem Belie
ben in dem grössten oder kleinsten Mass
stabe ausgeübt werden. In einem Lande
wie Schweden, mit seinen bis noch vor
kurzer Zeit unvollkommenen Kommunika
tionen, erbot auch diese Zubereitung dem
Landbesitzer ein sehr bequemes Mittel, seine
Erdprodukte in eine leicht transportable
Waare zu verwandeln, während gleichzei
tig der Abfall zur Verbesserung des Land
baues anwendbar war. Da zugleich die
Abgabe für die Zubereitung, welche der
Staat je nach der Grösse der Geräthschaften
bezog, äusserst gering war, so war die na
türliche Folge, dass die Zubereitung eine
ausserordentliche Ausdehnung erhielt. Die
grösseren und kleineren Landbesitzer fan
den es allgemein mit ihrem Vortheile ver
einbar, von ihren eigenen Produkten selbst
Branntwein zuzubereiten, sodass vor etwa
40 Jahren an mehr denn 170,000 ver
schiedenen Stellen im Lande Branntwein
zubereitet wurde.
Es war natürlich, dass ein solches Sy
stem in mehren Hinsichten schädlich sein
musste. Die Geräthschaften waren von der
allereiufachsten Beschaffenheit und wurden
auf eine Weise angewendet, dass sie von
dem verwendeten Rohstoff nur eine ver
gleichsweise schwache Ausbeute lieferten,
sodass der Export von Spiritus unmöglich
war. Die ganze Produktion wurde also von
der Bevölkerung des Landes verbi’aucht,
und dieser Verbrauch wurde durch die in
hohem Grade verbreitete Zubereitung in
Verein mit einer äusserst mangelhaften Ge
setzgebung in Betreff des Minuthandels mit
Branntwein erleichtert.
Die Anlage grösserer Brennereien mit
besseren Zubereitungsmethoden veranlasste
zwar allmählich eine nicht geringe Ein
schränkung der auf dem Lande verbreite
ten kleinen Brennereien; aber noch vor 20
Jahren wurde in etwa 700 mit'Dampf ge
triebenen Werken und in 37,000 kleinen
Brennereien Branntwein zubereitet. Jetzt
aber entstand eine andere Ungelegenheit.
Die grösseren Geräthschaften und die ver
besserten technischen Methoden, welche zwar