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Volltext: Schweiz : Bericht über Gruppe V Textil-Industrie, Section IV und Sectionen I, II, III, V, VI nebst Gruppe XXI Hausindustrie

Baumwollweberei. 
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Das Tit. kaufmännische Directorium von St. Gallen und die In 
dustrie-Commission von Appenzell A/R. bemühten sich, die sinkende 
Industrie wieder zu heben und neue Artikel einzuführen; eine durch 
greifende Wirkung zerschlug sich aber an der Unwissenheit der Fabri 
kanten und an der Gleichgültigkeit der Kaufleute. Mit dem Jahre 1865 
nahm die Maschinenstickerei ihren eigentlichen Aufschwung. Mit ihrer 
zunehmenden Entwicklung verschwand auch das Interesse für die We 
berei; viele Fabrikanten gingen zur Stickerei über und die besseren We 
ber folgten ihnen. 
Während mehreren Jahren wurden mit dem Blattstichstuhl gewo 
bene Banden und Entredeux gemacht, welche die Stickerei sehr gut 
nachahmten und höchstens die Hälfte kosteten. Der Artikel mag ca. 
1000 Stühle beschäftigt haben und gab sowohl Weber als Fabrikant 
einen fast ebenso reichlichen Verdienst wie die Stickmaschinen. Diesem 
Artikel verdanken wir es hauptsächlich, dass noch eine Anzahl intelli 
genter Fabrikanten und Arbeiter bei der Weberei ausharrten. 
Die im Frühjahr 1873 in der Stickerei eingetretene Crisis schlug 
aber leider auch diesen Artikel aufs Haupt; der Absatz stockte und die 
meisten Stühle wurden abgerissen; mit ihnen sinkt auch die Hauptstütze 
der Blattstichweberei, welcher der Ct. Appenzell einen grossen Theil 
seines Wohlstandes verdankt. 
Die Ausstellung in Wien enthielt eine Collectiv - Ausstellung der 
meisten Webartikel, welche man hier fabrizirt, allein es war eigentlich 
mehr Schein als Realität. Die Lebenskraft der ganzen feineren Baum 
wollweberei von St. Gallen und Appenzell ist gebrochen. Wir haben im 
ganzen Lande kein halbes Dutzend Fabrikanten mehr, welche die We 
berei gründlich verstehen, und im Stande wären für die Einführung von 
irgend etwas Neuem Hand zu bieten. 
Seit 12 Jahren ist es keinem jungen Manne mehr eingefallen, sich 
der Fabrikation zu widmen; tüchtige Anrüster sind eine grosse Selten 
heit. Die guten Weber haben ein anderes Brod gesucht. Wer irgend 
etwas Anderes ergreifen kann, dem kommt es nicht in den Sinn, das 
Weben neu zu lernen. Die Webanstalt von U. Zellweger sei. in Tro 
gen, ein Erziehungsinstitut für arme, fähige Knaben, ist das einzige Or 
gan, welches der Weberei noch hie und da einzelne tüchtige Kräfte zuführt. 
Im Ganton St. Galleu sind die Mousseline- und Gazeweber wohl 
auf den fünften Theil der früheren Zahl zusammengeschrumpft; im 
Canton Appenzell sind es kaum noch die Hälfte. Die noch übrig ge 
bliebene Zahl ist erbittert, dass ihre Arbeitslöhne mit den Mehrkosten 
aller Lebensbedürfnisse nicht in Einklang gesetzt werden, dass alles um 
sie her durch die Stickerei prosperirt, und sie allein ein karg zugemes 
senes Brod essen sollen. Sie können natürlich die Situation nicht er 
fassen, und sind willige Hörer internationaler Zöglinge, welche ihnen 
vorpredigen, die Wohlhabenheit der Dörfer sei aus dem Lohne geflossen,
	        
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