J. Steiger-Meyer in Herisau.
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welchen man ihnen unrechtmässiger Weise vorenthalten habe. Das Ver
trauen zwischen Fabrikant und Weber ist gestört und dem letztem jede
Gelegenheit willkommen, wo er seinem Unmuth Ausdruck geben kann.
Diese tiefe Verstimmung des. Webers trägt selbstverständlich auch nicht
dazu bei die Industrie zu fördern.
Der Verdienst der Handweberei ist seit 20 Jahren unverändert
geblieben; einige Zeit stand er sogar tiefer als von 1850—1857; seit 3
Jahren wurde der Lohn wieder um 10—20 °/o erhöht; derselbe bewegt sich
heute zwischen Fr. 6 bis Fr. 16 per Woche. Einzelne bringen es bei
guten Artikeln bis Fr. 20.
Dieser Lohn ist allerdings nicht geringer als in andern Theilen
der Schweiz und in andern Ländern, allein unsere Weber stehen sich
doch bedeutend schlechter. Während die Hand Weberei an andern Orten
meistens mit der Landwirthschaft verbunden ist, oder die Weber wenig
stens von ihren Ackerbau treibenden Nachbarn billige Lebensmittel be
kommen können, ist der appenzellische Weber blos auf seinen Webstuhl
angewiesen und genöthigt, jede Kartoffel zu theurem Preise vom Zwi
schenhändler zu kaufen. Ein anderer Nachtheil für den Weber ist die
in der Ostschweiz allgemeine Gewohnheit, den Webstuhl im Keller zu
halten. Die Fabrikanten erklären, es könne nicht anders gemacht wer
den, das Garn werde in trockener Luft spröde und brüchig.
Warum soll diese geistig und leiblich nachtheilige Arbeit im
feuchten Keller, ohne Fussboden, wo der Schimmel die Wände bedeckt
und auch im härtesten Winter nicht geheizt werden kann, nur bei uns
nothwendig sein? Warum hat man es an andern Orten dazu gebracht, die
Kellerweberei abzuschaffen? Warum verarbeitet man in Sachsen im
zweiten und dritten Stock die feinsten Garne? Warum arbeiten überall
die mechanischen Webereien in trockenen Lokalitäten? Warum? Weil
dort eine andere Schlichte verwendet wird, welche eine genügende Quan
tität Fett enthält, um den Faden geschmeidig zu erhalten. Die Waare
wird allerdings etwas weniger ansehnlich als bei der Kellerweberei, allem
Bleiche und Appret heben diesen Unterschied auf. Ein Umstand, der
den Kampf gegen diese Landplage schwierig macht, ist der Platzmangel
in den Häusern; dieselben sind so überfüllt, dass in den obern Stock
werken weder in Stuben noch in Kammern Platz zu finden ist, um noch
2, 3, 4 und mehr Webstühle aufzustellen; es ist eher Regel als Aus
nahme, dass zwei und drei verschiedene Familien die gleiche Wohnstube
benützen und blos eigene Schlafkammern haben. Eine rasche Aufhebung
dieser Missverhältnisse wird nicht möglich sein; dagegen ist es hohe
Zeit, dass man wenigstens versuche, diese Zustände in dem idyllischen
Alpenländchen, wo man Alles vollkommen glaubt, zu verbessern.
Wir müssen diesen Verfall einer Industrie, welche seiner Zeit die
Spitzen der feinen Baumwollweberei umfasste und für ihre Fabrikate m
allen Ländern der Erde Eingang fand, tief betrauern und zwar um so