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J. Steiger-Meyer in Herisau.
SECTION III.
Leinenwaaren.
Die Leinenweberei war bis in die letzten Decennien eine der am
allgemeinsten verbreiteten Industrien. Sowohl die fleissige Bäuerin als
die sorgsame Stadtfrau setzten eine besondere Ehre darein, ihre Familie
mit selbstfabrizirten Leinen zu versehen; fast in allen europäischen Län
dern wurde der Bedarf durch die einheimische Industrie gedeckt. Sowohl
die Handspinnerei als die Weberei erlitten aber in den 30er Jahren durch
Einführung der mechanischen Bearbeitung einen nimmer zu heilenden
Bruch; die fleissige Hand konnte der schnellschaffenden Maschine nicht
mehr nachkommen und musste Jahr für Jahr der schlimmen Coneurrenz
mehr weichen.
Auch hier war es wieder Hrossbrittanien, welches für die tiefein
schneidende Umgestaltung die Initiative ergriff, und sich bis heute an
der Spitze des Fortschrittes in Spinnerei, Weberei, Bleicherei und Ap
pretur erhalten hat; zwar wurden auch die andern Länder durch die
scharfe englische Coneurrenz zum Fortschritt gezwungen und schon die
letzte Pariser Ausstellung zeigte, dass Frankreich, Belgien und Deutschland
sich vollkommen ermannt haben, um der fremden Coneurrenz im eige
nen Lande Halt zu gebieten, allein noch im Jahre 1872 betrug der eng
lische Export in Leinen über 200 Millionen Franken, davon die Hälfte
für Amerika.
Die Industrie ist ungemein reichhaltig und bietet vom. starken Se
geltuch, welches die gewaltigsten Schiffe durch alle Meere führt, bis zum
feinsten Battist-Mouchoir in der zarten Hand der Lady, vom starken
Kittel des Arbeitsmannes bis zum feinsten Damasttuch an der Tafel des
Fürsten, eine ausserordentliche Mannigfaltigkeit.
Dieselbe ist fast ausschliesslich in den Händen Europa’s, deren
industrielle Länder sich in der Ausstellung mit vorzüglichen Fabrikaten
überboten; namentlich Oesterreich war hervorragend; der Leinen-Salon
von Oberleithner galt allgemein als eine der sehenswertesten Parthien
der Ausstellung.
Die schweizerische Leinen-Industrie hatte sich im Bewusstsein
ihrer Schwäche vom Wettkampfe in Wien fern gehalten und war durch
einen einzigen Aussteller, J. J. Schoop & Co., in Dozweil, mit halblei
nenen Servietten und Tischtüchern vertreten; derselbe erhielt ein Aner
kennungsdiplom.
Die Leinenfabrikation des Canton Bern hatte bis in die 50er Jahre
durch die Solidität ihrer Fabrikate eine gewisse Berühmtheit; dieselbe