Stickerei.
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und verarbeiten lässt; früher wurden die fabrizirten Waaren durch den
Schmuggel nach Frankreich gebracht; seit dem Handelsverträge bewegt
sich das Geschäft auf dem gesetzlichen Wege, indem der Zoll von 10 °/o
den Schmuggel unterdrückt hat.
Die Ausstellungen der anderen Länder in Weissstickereien boten
nichts Neueres und nichts Besseres als die schweizerische, dagegen war
die ornamentale Goldstickerei durch Oesterreich, Italien, Frankreich,
Deutschland und die asiatischen Länder in unübertrefflicher Vollkom
menheit vertreten.
Dieser Zweig ist bei uns total unbekannt, wir bezweifeln auch
sehr, dass derselbe für uns passen würde; es würde grosse Opfer kosten,
um sich einzuarbeiten; die Weissstickerei bietet ein viel leichteres und
weiteres Feld als diese Kunstindustrie, deren Fabrikate so hoch zu stehen
kommen, dass der Consum nicht sehr gross sein kann.
Gtrobstickerei.
Unter Grobstickerei wird gewöhnlich die Kettenstich- oder Tam
bourstickerei verstanden. Dieselbe wird hauptsächlich für Gardinen ver
wendet und war seit Anfang des Jahrhunderts eine Specialität von
St. Gallen.
Diese Arbeiten werden nicht in der Schweiz verfertigt, wie diess
allgemein geglaubt wird, sondern in den angrenzenden deutschen Bezir
ken vom Schwarzwald bis zum Vorarlberg.
Anstatt zu spinnen oder zu stricken, sticken dort die Bauernmäd
chen im Winter Gardinenstoffe für die Fabrikanten der Schweiz, welche
ihnen durch Ferggereien vorgezeichnete Stoffe und Garne vertheilen las
sen. Die eigentliche Arbeitszeit beschränkt sich blos auf die Winter
monate; sobald der Frühling heranrückt, und die Feldarbeiten wieder
begonnen werden können, wird der Stickrahmen bei Seite gestellt und
blos im Regenwetter oder in Zeiten, wo die Männer der Frauenhülfe
auf dem Felde nicht bedürfen, wieder liervorgeholt.
Die Arbeitslöhne bewegen sich von ca. 60 Cts. bis 1 Fr. 30 Cts.,
je nach dem Geschäftsgänge. Trotzdem dieser Verdienst nicht gross ist,
so hat er doch die betreffenden Bezirke industriell sehr gehoben, indem
die Stickerei nicht der direkte Erwerb, sondern eher eine Nebenbeschäf
tigung zur vortheilhaften Ausnützung der durch die Landwirthschaft
nicht benöthigten Kräfte ist.
Der Betrag der von der Schweiz nach diesen Gegenden gesandten
Arbeitslöhne baläuft sich auf ca. 2 Millionen Franken per Jahr.
Wir haben uns schon oft gefragt, warum nicht in gleicher Weise
die Arbeitskräfte unserer eigenen Landbezirke und namentlich unserer
fast 8 Monate im Winter und im halben Müssiggang und Mangel leben
den Gebirgsbewohner ausgenutzt werden; unsere Leute könnten gerade
die Stickarbeit ebenso gut lernen, wie unsere deutschen Nachbarinnen.