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Mit der Berufung der meistens gemeinschaftlich arbei
tenden Architekten Eduard VandernUll und August v.
Sicardsburg an die Wiener Akademie (1845) gelangte
die romantische Richtung zur Geltung und im Jahre 1848
erfolgte die förmliche Lossagung von dem Sprenger’schen
bureaukratischen Systeme. Hierzu die Initiative ergriffen au
haben, ist das Verdienst des Ingenieur- und Architekten-
Vereins, und den äusseren Anlass bot der von Sprenger
im Jesuitenstyle projectirte Bau der Altlerchenfelder Kirche,
für welchen nunmehr J. G. Müllers romanisches Project
angenommen wurde. Seit jener Zeit herrscht in Wien wie
überall der Eklekticismus, doch mit unverkennbarer Vorliebe
für die Formen der italienischen Renaissance. Für die evan
gelische Kirche in der- Vorstadt Gumpendorf von Ludw.
Förster und Th. Hansen (1846—1849) diente die alt
christliche Basilica als Vorbild. Die bisher nur behufs der
Restaurirungen am Stephansdome gepflegte Gothik erhielt
eine Stütze durch die Concurs - Ausschreibung für die
Votiv- oder Heilandskirche, für welche ausdrücklich dieser
Styl bedungen war und deren Bau 1856 nach Ferstel’s
Plänen begann. Förster wählte für die neue Synagoge
den maurischen, Hansen für die neue Fajade der griechi
schen Kirche am Fleischmarkt und für die Friedhofscapelle
vor der Matzleinsdorfer Linie den byzantinischen Styl, und
der Arsenalban wurde vollends unter drei Concurrenten
derart vertheilt, dass die äusseren Tracte nach Vander-
nüll’s und Si cardsburg’s, das Waffenmuseum nach
Förster’s und Hansen’s, die Capelle nach Rösner’s
Plänen zur Ausführung kam.
Während so in den Monumentalbau neues Leben ge
bracht wurde, lag die bürgerliche Architektur fast gänzlich
darnieder. Die innere Stadt wurde durch die Befestigungs
werke verhindert sich auszudehnen und der zwischen ihr
und den Vorstädten sich ausbreitende Glacisraum erhielt
auch eine ideelle Trennung aufrecht, welche die Ausnützung
der in den Vorstädten noch genügend vorhandenen Bau
gründe verhinderte. Denn das gesammte Leben concentrirte
sich doch in dem räumlich so beschränkten Centrum. In
einem halben Jahrhundert hatte sich die Häuserzahl in
Wien um wenig mehr als 2000 erhöht (8898 im Jahre 1850
gegen 6739 im J. 1800), während die Einwohnerzahl von