Der Welthandel.
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Laufe des ganzen XV. Jahrhunderts im beftändigen Sinken begriffen und von
io Percent am Anfang der Zeit auf 5 Percent im Jahre 1480 herabgegangen und
Niemand dachte in diefer Zeit der Wohlhabenheit mehr an das Gebot, das eintt
Papft Alexander gegeben hatte, dafs nur Juden Capital gegen Zinfen ausleihen
dürfen und Wucherer kein Begräbnifs haben follten.
Allein, die Zeit ift uns doch in ihrer ganzen Macht entrückt und kaum lebt
eine leife Erinnerung an fie in uns auf, wenn wir heute diefelben flandelswege
wieder auffuchen und auf den Wegen und Pfaden, auf denen einft die Karawanen
dahinzogen oder die Züge der Maulthiere die Reichthümer der Erde trugen, die
feften Eifenfchienen legen. Und auch das ift leicht erklärlich. Die beiden flandels-
mächte, Hanfa und Venedig, die beiden Handelsgebiete des Nordens und Südens
hatten keinen Zufammenhang untereinander, fie hatten kein nationales Fundament,
fie waren Bündniffe, keine Reiche, Intereffengemeinfchaften, keine Staaten und
mufsten, ob Genuefer, Venetianer oder Hanfabürger vor der Macht dernationalen
Staaten, die allmälig zum Bewufstfein gelangen, der Nationalitäten, die in Sprache,
Sitte und Intereffengemeinfchaft fich immer feiler aneinander fchliefsen, weichen
und endlich ganz verfchwinden. Ereigniffe, mächtiger als jene der Kreuzzüge, die
Seefahrten und Entdeckungen Columbus’ und Vasco de Gamas’ verändern die
Richtung der europäifchenWirthfchaftsgefchichte.desHandels und derPIandelswege.
Wenn wir Europa, das unter allen Welttheilen am mannigfaltigften geftaltet
ift, in feiner gefchichtlichen Entwicklung und feiner geographifchen Lage zu den
anderen Welttheilen betrachten, fo erkennen wir eine ganz beftimmte Neigung
des füdöftlichen Europa zum füdlichen, des nordöftlichen Europa zum nörd
lichen Afien. Dem Süden und Südweften Europas fteht Afrika gegenüber, dem
Nordweften die neue Welt, Amerika und Auftralien. Sehen wir ab von diefen
fpät entdeckten Welttheilen, fo find mit den erwähnten Beziehungen die grofsen
Weltverkehrs-Linien gegeben, die durch Jahrtaufende die ganze Welt in ihrer
Culturbewegung einander nahe gebracht haben. Nach viel hundertjähriger Ver-
geffenheit! Sollen diefe Wege nicht heute wieder von der gröfsten Wichtigkeit
werden, nicht heute wieder das füdöftliche Europa mit Mitteleuropa zu einem
neuen, in feiner ganzen Gröfse noch ungeahnten Leben wachrufen? Wenn die
türkifchen Bahnen ausgebaut, Griechenland mit dem türkifchenLittorale verbunden
ift, Dalmatien durch Eifenbahnen durchfchnitten wird, wenn Wilhelm Preffel feine
Chemins de fer de l’Anatolie wirklich vollendet, Ismit-Angora, Mudamia-Bruffa-
Lefke und Kutahia-Eskifchehr Sivri-Hiffar ausgebaut ift, wenn endlich die Euphrat
bahn nicht mehr ein Projedt und das indifche Eifenbahnnetz in fo rafcher Ent
wicklung, in der es begriffen ift, wirklich fich vollendet, follen dann die alten
Handelsftrafsen nicht wirklich neu belebt, ein neues Lebennichtwiedererzeugen?
Wird dann der für den altgriechifchen Handel einft fo bedeutende Boden trotz
feines heutigen Brachliegens nicht wieder neu belebt werden und wird neben
Olivenöl und Opium, das in grofser Menge in den kleinafiatifchen Hochebenen
heute gewonnen wird, nicht Getreide,Tabak, Bau- und Werkholz der Welt fich bieten,
werden Silber-, Kupfer- und Kohlenbergwerke in Anatolien nicht einen mächtigen
Ertrag liefern, Wolle und Häute nicht wieder in den Handel mächtig eingreifen,
Salz in Millionen Werth fchaffen, nachdem die Salinen von Smyrna in den letzten
fechziger Jahren fchon 32 Millionen Piafter jährlich Ertrag abgeworfen haben?
Und, nachdem mit der Durchftechung der Landenge von Suez ein neuer, kurzer
Seeweg den Nothweg um das Cap der guten Hoffnung entbehrlich macht, werden
die Völker, die durch Jahrhunderte des Mittelalters den indifch-europäifchen
Plandel geleitet haben, nicht wieder ihre Wege nach Indien fuchen? Doch wir
wollen der gefchichtlichen Entwicklung nicht vorgreifen. Die Gegenwart drängt
zu diefer Geftaltung eines Theiles des Welthandels hin und fchon feilen wir Mil
lionen von Europa ausgegeben, um an allen nur möglichen Punkten die Alpen zu
überfteigen oder zu durchbrechen, um ander neuen Handelsftrafse des füdlichen