Der Welthandel.
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Die Rohftoffe des Thierreiches.
Wolle. Es ift heute eine bekannte Thatfache, dafs die gelammte euro-
päifche Wollproduaion, ob mit grofser Sorgfalt betrieben, oder durch die weiten
Steppen, zur günftigen Weide geeignet, ernährt, und durch die Natur gezüchtet,
von dem ungeheueren Wollreichthum Auftraliens, der Cap'Colonie und Laplatta-
Staaten vollftändig zurückgedrängt, ja für die gefammte Summe gewöhnlicher
Wollforten geradezu aufgelöft und die Summe vieler Eigenthumsverhältniffe und
Einkommensquellen in diefer Richtung bedeutend verändert worden iil. Die
Wolle zeichnet fich von der Mehrzahl der landwirthfchaftlichen Produae durch
eine fehr bedeutende Transportfähigkeit aus. Weiter ift fie bei einiger Sorgfalt der
Aufbewahrung dem Verderben faft gar nicht ausgefetzt und da auch ihr Preis
im Durchfchnitte 20 bis 25 mal fo hoch ift, als der des Getreides, fo ift fie auch
zu einem 20 bis 25 mal fo weiten Transporte geeignet. Demnach können leicht,
und find auch die entfernteften Länder der ganzen Erde bezüglich der Wolle in
Concurrenz mit einander getreten, und haben den Wollhandel dadurch zu einem
wahren Welthandel gemacht. Bei den im Verhältnifs zum Preife fo geringen
Transportkoften können nur ganz natürlich fchwach bevölkerte Länder, wie
Auftralien u. f. w., wo die Grundrente darum niedrig ift, ihre Wollforten zu billigen
Preifen auf den Markt bringen. Mit diefer koloffalen und immer wachfenden
Zufuhr aus den transatlantifchen Ländern find die Wollpreife fo herabgedrückt
worden, dafs zumeift durch die ungeheuere Entwicklung der Wirkwaaren-Fabri-
cation felbftjene Volksclaffen, denen früher Schafwoll-Gewebe unzugänglich waren,
heute fich mit Woliftoffen bekleiden. Man rechnet, dafs England heute für jeden
Einwohner mehr als ein Vliefs jährlich braucht. Uebrigens ift die europäifche
Wollproduaion keineswegs fchon aufgelöft. Die feinen, langen und reinen
Sorten gehören noch immer der alten Welt an und es werden Jahre
fteifsiger Arbeit vergehen müffen, ehe Auftralien, das Capland mit den beften,
reinften und feinften Sorten Eufopas werden concurriren können. Und felbft,
wenn diefs der. Fall fein wird, wird es ficher möglich fein, die Wollzucht Europas
in einigen Staaten, aber freilich mit grofser Sorgfalt, um die Qualität mit der
Quantität zu fteigern, zu erhalten, da der Wollverbrauch 1111 dauernden Steigen
begriffen heute fchon ungeheuere Maffen der fogenannten Kunftwolle gebraucht
und verarbeitet werden. In dem Hauptfitze derfelben, in Bradford, werden folche
Mengen diefer Wolle zu Stoffen aller Art verarbeitet, dafs allein 600.000 reine
Wollvliefse als Zufatz für diefe wenig haltbare Schoodiwolle gebraucht werden.
Ganz England verarbeitet heute beiläufig 40 Millionen Pfund folcher Wolle. Auch
auf dem Continente ift die Thätigkeit der Erzeugung und der Verbrauch folcher
Wolle im dauernden Steigen.
Der Confum von Wolle überhaupt foll in England 4 2 Pfund per Kopf
betragen. In Deutfchland beträgt er 3-6 Pfund. In Oefterreich 3 Pfund. Man kann
daraus erkennen, welche koloffale Quantitäten Europa verzehren mag.
Die Gefammtzahl der Wollproduaion der ganzen Erde fchatzt hr. X.
Neumann auf mindeftens 1250 Millionen Pfund, mit einem Produaionswerth
730 Millionen Gulden, davon entfallen annähernd
auf Europa ... 57° Millionen Pfund
die Laplataftaa^en 200 „
Auftralien . . .
Nordamerika . .
Indien ....
die Cap-Colonie
Canada
190
155
io
In Europa geftaltet fich die Produaion der letzten 3 Jahre, da überhaupt
diefelbe fehr ftationär geworden ift, fo, dafs von der Gefammtprodua.on von
570 Millionen Pfund entfallen für das Jahr 1870 und 187 1:
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