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Volltext: Die Glasindustrie (Gruppe IX, Section 3), offizieller Ausstellungs-Bericht

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Jakob Falke. 
Der Ausfchlufs des diamantirten Brillantfchliffes weift von felber das böh- 
mifche Kryftallglas auf die andere oben befchriebene Kunftart, deren Wefen in 
der Schönheit und Eleganz der Form und in der Schönheit der eingefchliffenen 
oder gravirten Verzierungen befteht. Es entfpricht diefe Art nicht blos der Natur 
des böhmifchen Materials, fondern fie hat auch ihre hiftorifche Berechtigung, 
denn von dem echten Kryftall und dem daraus gebildeten Geräth, wie es zu 
Ende des XVI. und im Anfänge des XVII. Jahrhunderts zu Prag in fo ausgezeich 
neter Weife gefchaffen wurde, hat die glänzende Entwicklung der böhmifchen 
Glasfabrikation ihren Ausgang genommen. Die Kryftallfchleifer Rudolfs II. find 
die Lehrmeifter der Glasarbeiter geworden. Man kann die Nachwirkung diefes 
Urfprungs in der Gefchichte des böhmifchen Kunftglafes durch das XVII. und 
XVIII. Jahrhundert verfolgen. Werden auch mit dem Wandel des Gefchmackes 
durch Einführung der Facettirung und der geraden Linie die Formen fteifer, 
wird auch das Ornament verzopfter, fo bleibt doch das farblofe, kryftallreine 
Glas und die gleiche Manier der Verzierung mit eingravirten Arabesken oder 
Figuren. Noch im XVIII. Jahrhundert ift die Nachwirkung der alten Kryftall- 
gefäfse und ihrer Art unverkennbar und bewahrt das Glas vor fo manchen Excen- 
tricitäten, denen andere Industriezweige in jener Zeit des entarteten Gefchmacks 
anheimfielen. Die fchlimmfte Zeit für die böhmifche Glasinduftrie in kiinftlerifcher 
Beziehung ift erft mit dem Beginn des XIX. Jahrhunderts gekommen, theils in 
Nachahmung des voraneilenden englifchen Glafes, von dem die plumpen For 
men, das maffive Material auf das böhmifche übergingen, theils durch das weite 
Genre des gefärbten Glafes, theils endlich durch die franzöfifche Manier mit 
Malerei von Blumen und Figuren, welche das Glas zum Nebengänger des Por 
zellans machte. 
Wie wir in den letzten Jahren das böhmifche Kryftallglas — von dem 
gefärbten und bemalten abgefehen — überkommen haben, fo beftand fein Ver- 
dienft für das Auge allein in dem weifsen Lichterfpiel, das durch Politur und 
durch Brechung der Oberfläche in eine bewegte Ebene hervorgerufen wurde. 
Dem Gegenftande eine gute, elegante Form zu geben, lag ganz aufserhalb aller 
Abficht. Man dachte gar nicht daran. Konnte man doch felbft Trinkgläfer anftatt 
des Fufses auf ein viereckiges Poftament ftellen, als ob es fleh um kleine Monu 
mente handelte. Dagegen ift nun endlich ein Rückfchlag erfolgt, wiederum nicht 
ohne Einflufs des englifchen Glafes und feiner zweiten, von uns obengefchilderten 
Manier, der wir zeitlich wohl den Vorrang laffen müffen. Der Rückfchlag ift bei 
uns aber nach feiner Art felbftftändig geworden und unterfcheidetflehkünftlerifch 
wefentlich von dem englifchen Vorgänge. Die Vorbilder der neuen Art des böh 
mifchen Kryftallglafes find nicht oder nur in felteneren Fällen die antiken Thon- 
gefäfse, wie das Ornament nicht naturaliftifch ift; vielmehr dienen als Mufter 
und Motive ganz beftimmt die echten Kryftallgefäfse der Renaiffancezeit und ins 
besondere miiffen wir denjenigen, die in der kaiferlichen Schatzkammer zu Wien 
aufbewahrt werden und durch Vermittlung des öfterreichifchen Mufeums der 
Induftrie zugänglich gemacht worden find, einen direkten Einflufs zufchreiben. 
Die heutige böhmifche Glasinduftrie kehrt damit als Kunft zu ihrem Anfänge 
zurück; man würde aber Unrecht thun, wenn man ihr nachfagen wollte, dafs fie 
fleh lediglich imitirend verhalte. Sie läfst fleh vielmehr von ihren Vorbildern 
belehren und fchreitet auf dem gleichen Wege vor. 
Indem wir daran gehen, dasjenige zu befprechen, was die böhmifche 
Induftrie in diefer neuen Art auf der Weltausftellung felbft uns vor Augen führte, 
wird uns felbftverftändlich eine gewiffe Referve in Bezug auf unferen Mitarbeiter 
an diefem Berichte auferlegt, dem Niemand mindeftens einen Hauptantheil an 
diefer Reform des böhmifchen Glafes abfprechen wird. Indeffen würden Bericht 
und Auffaffung unvollftändig fein, wollten wir nicht dasjenige, was die Firma 
J. & L. Lobmeyr in Verbindung mit Meyr’s Neffe (W. Kralik) in Adolf 
ausgeftellt hatte, an den Platz einreihen, der ihm zukommt.
	        
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