IV. Das deutfche, ruffifche und franzöfifche Glas.
Was die Glasinduftrie fonft aufser Italien, England und Oefterreich auf
der Weltausflellung zu zeigen hatte, das bot keine wefentlich neue Seite dar
oder es befchränkte fich auf Specialitäten und Imitationen, die kaum über den
antiquarifchen Standpunkt hinausgekommen find. Von den drei Ländern, die für
unferen Gefichtspunkt, den äfthetifchen, noch in Frage kommen, verhält fich
Deutfchland wefentlich imilirend in modernem Sinne; es befitzt keinerlei Origi
nalität, keine fchöpferifche Kraft. Rufsland imitirte mit feinen intereffanteren
Sachen ebenfalls, aber mehr in alterthümlicher Richtung, und die einzige Specia-
lität, die von Frankreich aufser Spiegeln und Lüftern zur Ausflellung gebracht
worden, war auch nur Nachahmung.
Das Meifte, was Deutfchland an folchen Glasarbeiten gefendet hatte
bei denen der Gefchmack oder die Ivunft in Frage kommt, befchränkte fich auf
fehl* gewöhnliche Tifchwaare. Eine Ausnahme machten eigentlich nur zwei Fabri
ken: die baierifche von S t e i g e r w a 1 d’s Neffe und die fchlefifche von Graf
Schaaffgotfche zu Jöfefinenhütte, welche höhere Ziele anftreben. Jene fucht
diefelben durch die Zeichnung und den Reiz des Ornaments zu erreichen, das
fie ftreng in Münchner Art hält, aber indem fie zu viel Nachdruck auf das Orna
ment oder vielmehr die Zeichnung legt, tritt das Glas mit feinen Eigenthümlich-
keiten allzufehr zurück. Die fchlefifche Fabrik hält fich ganz innerhalb deffen,
was heute Mode ift; fie fucht, ohne originell zu fein, das Feinde und Befte zu
leiften und auch dem vornehmften Tifch zu genügen. Sie nimmt daher ihre Vor
bilder von allen Seiten, wo die Mode fie empfehlenswerth erfcheinen läfst. Sie
bemalt ihre Geräthe mit Figurenbildern in franzöfifcher Art, fie zeigt uns äufserfl
zierliche Trinkgefäfse nach englifchem Mufler und imitirt felbfl die Venetianerin
ihren eigenflen Weifen. So führte fie uns viel Hübfches und Gutes vor Augen,
nur fehlte ihr in allem das Eine, das Letzte: Selbftftändigkeit, Originalität.
Das ruffifche Glas zeigte auf der Ausflellung zwei verfchiedene Seiten.
Eine Glasfabrik, Czesky in Polen, Eigenthum der Gebrüder W. & E. Hord-
liczka, bewegte fich vollftändig in den bisherigen Pfaden des böhmifchen Kry-
ftallglafes: koloffale Vafen und plumpe Gefäfse mit Diamantfchliff, Manches auch
mit Farben in gewöhnlicher Weife. Im Gegenfatz fchlägt die kaiferliche
Glasfabrik in Petersburg eine ohne Frage künfllerifche Bahn ein. Was fie als
Vorbild benützt, ift aber nicht das englifche oder böhmifche Glas, fondern das
geblafene Glas einerfeits der Venetianer, andererfeits des Orients. Vondenvene-
tianifchen Muftern hält fie fich aber nicht an diejenigen, welche es auf die fchöne,
zierliche Form abgefehen haben, fondern an die älteren Mufler, welche fich mit
Malerei in Emailfarben fchmücken. In diefem Genre zeigte die Petersburger
Fabrik einige vortreffliche Arbeiten. Technifch tritt fie damit auch der altdeut-
fchen Art nahe, nur macht fie die Sachen feiner. Auch die geblafenen und mit
Emailfarben verzierten orientalifchen Glasarbeiten, die heute freilich fo gut wie
ausgeftorben find, verhalten fiqh technifch nicht viel anders, nur find die Email
farben in ziemlich dickem Relief aufgelegt. Sie haben der kaiferlichen Fabrik
den Anftofs zu einem neuen Genre gegeben. Es find Gefäfse von dunklem grünen
oder blauen Glafe, welche ftatt der orientalifchen Arabesken mit dem farbigen
Ornament der Holzbauten in fehr kräftiger coloriftifcher Weife verziert find. Es