4 Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart.
an ihrer Gesammtheit erkennen zu lassen, in welcher Strömung sich
die gegenwärtige Kunst bewege, welche Richtungen in ihr vorherr
schen, wie sich dieselbe zu den Ueberlieferungen älterer und neuerer
Zeiten verhalte, ob diese von ihr festgebalten oder abgelehnt oder selbst
ständig weiter entwickelt werden. Jede Ausstellung ist wesentlich
didaktischer Natur. Dieses zugegeben, verstummen die meisten Kla
gen und bleibt nur der Wunsch übrig, dass stets ein vollständiges,
richtig ausgewähltes und verständig geordnetes Material geboten werde,
um den Unterricht ergiebig zu machen. Leider muss aber zugestanden
werden, dass der Zufall noch immer einen überwiegenden Einfluss auf
die Zusammensetzung der Ausstellungen übt, und das Bild, welches
von der gegenwärtigen Kunst auf Grund der hier gewonnenen An
schauungen entworfen wird, stets vielfacher Verbesserungen bedarf um
der Wahrheit zu entsprechen. Die Enthaltung hervorragender Künst
ler, die ungleichmässige Beschickung durch die verschiedenen Schulen
bringen in den Charakter der Ausstellungen gewöhnlich eine falsche
Farbe. Doch trifft dieser Vorwurf die Wiener Ausstellung nicht stär
ker als ihre Vorgänger, ja man möchte behaupten, dass die Vertheilung
nach Ländern und Schulen dem wirklichen Verhältnisse im Ganzen
angemessener sei, als dieses früher der Fall war.
Um die Bedeutung der Wiener Weltausstellung im Kreise der
bildenden Künste richtig zu würdigen, erscheint es rathsam, die beiden
Pariser Weltausstellungen 1855 und 1867, sowie die Münchener inter
nationale Kunstausstellung vom Jahre 1869 zur Vergleichung heranzu
ziehen. Zunächst wird dadurch das steigende und fallende Maass der
künstlerischen Production und der Grad der Betheiligung der einzel
nen Länder festgestellt. Die erste Pariser Ausstellung (1855) zählte
in der Gruppe der bildenden Künste 5112 Nummern; von diesen ent
fielen auf die französische Kunst 2711, auf die englische 778 Nummern,
in den Rest von 1623 Werken theilten sich die übrigen Völker. We
der Deutschland noch Italien waren entsprechend vertreten; schon die
Zersplitterung in zahlreiche kleine Gruppen, da nicht das nationale,
sondern das politische Princip der Eintheilung beliebt wurde, musste
die Wirkung dieser Ausstellungen aufheben, abgesehen davon waren
auch die Zusendungen namentlich von Seiten Deutschlands nicht zahl
reich genug erfolgt. Die Pariser Weltausstellung 1867 zeigte ein
ähnliches Uebergewicht der französischen Schule. Von 3973 ausge
stellten Werken gehörten 1043 derselben an; in der englischen Abthei
lung sank gegen 1855 die Summe der eingesandten Werke (was in
Wien in noch höherm Grade der Fall war) und wenn die deutsche
und italienische Kunst eine reichere Vertretung fanden, so blieb doch
die eine wie die andere weit hinter der französischen zurück. Da in
München (1869) das entgegengesetzte Verhältniss beobachtet wurde,
hier von 3409 ausgestellten Werken nur 538 auf Frankreich fielen, so