Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart. 17
Ciesinger seiner Phryne wirkliches Geschmeide, das abnehmbar ist
und aus einer berühmten Werkstätte bezogen wurde, umhängt? Nicht
einmal den Reiz der Neuheit besitzen solche Bravourstücke. Sie sind
um so verdammenswerther, als gerade in Frankreich die Plastik nicht
um die Gunst des Volkes zu buhlen braucht, vielmehr durch die Unter
stützung, welche ihr die Staatsverwaltung angedeihen lässt, die Freiheit
empfängt, grosse und ernste Aufgaben zu fassen und, wenn es Not-h
thut, den populären Geschmack auf rechte Wege zu leiten. Ohne Zweifel
bieten auch die Ehrendenkmäler, die wir unseren Helden und berühmten
Männern errichten, die Porträtstatuen, in welchen wir die Erinnerung
an bedeutende Persönlichkeiten festhalten, dem Künstler reichen Anlass,
seine Tüchtigkeit zu erproben: die wahre Heimath der Plastik bilden
aber dennoch nur die freien Schöpfungen, in welchen der Künstler
ungehindert von allen äusseren Einflüssen seiner Phantasie folgen
kann, der Inhalt und die Form der Darstellung gleichmässig seinem
Geiste entspringen, die Idealsculpturen, mögen sie den heroischen
Charakter an sich tragen oder dem sogenannten Genre sich nähern.
Gerade für diese Gattung von Werken, welche sonst überall auf die
immer seltneren Privatliebhaber harren müssen, hält in Frankreich die
Regierung ihre öffentlichen Sammlungen mit anerkennenswerther Libe-
lalität offen. Wir verweisen nur auf den Katalog der Luxemburggalerie
und citiren aus dem Wiener Ausstellungskataloge folgende Werke als
Staatseigenthum: Aizelin: Psyche; Barrias: Die Spinnerin von Me-
gara; Bourgeois: Die delphische Pythia; Cain: Tiger im Kampf mit
einem Krokodil; Dubois: Florentinischer Sänger; Hiolle: Narciss;
Moreau: Aristophanes; Renaudot: Najade; Sanson: Tänzer; Tru-
pheme: Mädchen an der Quelle u. s. w. Unter solchen Umständen
hat die Entschuldigung, dass man sich der Laune der Mode etwa
unterwerfen müsse, keine Geltung und zeigen die Werke Schäden und
Mangel, so muss der Grund dafür in dem Kern des Kunstlebens selbst
aufgesucht werden. Auf die Frage, ob die Kunstrichtung überhaupt
krankt und die Mehrzahl der Künstler ansteckt, giebt das Studium
der französischen Malerei, die ja doch die tüchtigste und entschei
dendste Kunstgattung bleibt, den besten Aufschluss.
Der erste Eindruck, den man auf der Wiener Weltausstellung
empfängt, ist der einer völligen Vernachlässigung der „grande peinture“,
wie es in der Pariser Ateliersprache heisst, der grossen Compositionen,
in welchen der Künstler nicht allein sein technisches Geschick und
seine I ormenkenntniss, sondern auch seine Fähigkeit zu erfinden, grosse
Gruppen anzuordnen, bewähren muss. Diese ganze Gattung ist durch
ein einziges Werk vertreten: Cabanel’s: Triumph der Flora. Gewiss
würde das Bild in entsprechender Aufstellung und in passender archi
tektonischer Einrahmung besser wirken. Es war bestimmt, die Decke
des Treppenhauses im abgebrannten Pavillon Flora in den Tuilerien
Wiener Weltausstellung.