22 Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart.
ben, solche Probleme zu lösen, dazu eignet sich die orientalische Natur
unübertrefflich. Sie wurde aber noch in anderer Beziehung wichtig
für die Pariser Maler. Die ästhetischen Interessen der französischen
Modewelt beschreiben verhältnissmässig einen engen Kreis. Wie sie
das historische Pathos ausschliessen, so ist ihnen auch der Humor und
vollends die naive Komik ganz fremd. Man wird lange suchen müssen, '
ehe man ein Product der poetischen Literatur, eine künstlerische Schöpfung
aus den letzten Jahrzehnten findet, die zu einem herzlichen Lachen auf
forderte, zu einem gemüthlichen Genuss anregte. Herbe sociale Conflicte
besitzen fifr die Einbildungskraft der Pariser Mittelclassen einen her
vorragenden Beiz, doch ohne jeden sentimentalen Beigeschmack. Die
oft mit bewunderungswürdiger Schärfe durchgeführte Analysis socialer
Schäden genügt, um den Beifall zu locken. Dieses Verzichten auf har
monische Lösungen, dieses Interesse an Conflicten setzt eine gewisse
Ueberreizung voraus, wie sie häufig in übersättigten Culturperioden
wahrgenommen wird, es lässt eine Brutalität der Empfindung erstarken,
die nur deshalb keinen Anstoss erregt, ja kaum erkannt wird, weil sie
in effectvolle Formen sich kleidet. Von der Macht dieser Richtung der
Phantasie legen zahlreiche Bühnenspiele, die von Paris aus ihren Weg
genommen haben, und in so vielen Theatern Europas bewundert wer
den, Zeugniss ab. Auch die Scenen aus dem orientalischen Leben in
der neuesten französischen Malerei haben in ihr grossentheils ihre Wur
zeln. Die überreich wuchernde Natur, der blendende Farbenschein,
gewähren die Mittel, um auch die glühendste Leidenschaft auszudrücken,
das orientalische Leben bietet mannigfachen Anlass, Contraste, die das
Auge reizen, zu schildern und sinnliche Empfindungen anzufachen.
Die glänzendste Illustration der Malerei, welche aus dem Oriente
ihre Anregungen schöpft, bildet in der Wiener Ausstellung Henri
Regnault’s „Hinrichtung in Granada“. Das beklagenswerthe Schick
sal des jungen Künstlers, der bei dem letzten Ausfall der Pariser bei
Buzenval fiel, hat das Interesse an seinen Werken begreiflich gesteigert.
Doch bedurfte es kaum des heroischen Nimbus, um seinen künstleri
schen Werth zu erkennen. Regn'ault war unbestritten das hervorra
gendste Talent der jüngeren Generation und vor vielen Anderen befä-
higt, eine Führerrolle in der französischen Kunst zu übernehmen. Ihn
zeichnet namentlich ein feines Gefühl aus für die Richtung, welche der
ästhetische Geist in Frankreich mit Vorliebe einschlägt, und eine sel
tene Energie dieselbe vollkommen auszubeuten. Die Bedeutung seines
Werkes kann nur durch eine genauere Beschreibung desselben klar
gemacht werden. Vor einer mit rothen und goldenen Arabesken, die
wie Email glänzen, überzogenen Mauer steht der Henker, in einen lan
gen, rothen Rock gehüllt, im Begriffe, die blutige Klinge seines Yata-
gan an einem Zipfel des Kleides zu reinigen. Zu seinen Füssen liegt
der verzerrte Leichnam des Hingerichteten, dessen reiches Gewand (grün