24 Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart.
genstand holen, ist die archäologische Gewissenhaftigkeit. Wie kindisch
erscheinen die Bemühungen des alten David und seiner Zeitgenossen,
den äusseren Apparat des antiken Lehens treu zu copiren, gegen die
Genauigkeit, mit welcher das junge Künstlergeschlecht auch die intim
sten Seiten desselben wiedergiebt. Gerome’s Gladiatorenkampf könnte
ganz gut ein Lehrbuch römischer Antiquitäten als Titelbild zieren, so
richtig ist bis zu den charakteristischen Gesten der Zuschauer Alles
dargestellt. An sich ist diese Auffassung nicht zu tadeln, für die Schil
derung des Privatlebens der Alten ist sogar ein liebevolles und gründ
liches Eingehen auf die Aeusserlichkeiten antiken Daseins unentbehrlich.
Es wäre aber wohl zu erwägen, ob nicht gerade durch solche historische
Accuratesse uns die Antike am meisten entfremdet wird. Die ideale
Natur der Antike ist in unserem Geiste so fest gewurzelt, dass wir
doppelte Mühe haben, sie im Werktagsgewande zu erkennen und, wenn
sie uns in historischen Genrebildern vorgeführt wird, sie zu verstehen.
Viel eher lassen sich biblische Gestalten nach unserer Empfindung und
unseren Anschauungen umformen, weil diese noch ein unmittelbares
Leben für den Gläubigen besitzen. Jedenfalls bleibt die alte ideale Auf
fassung der Antike noch immer zu Hecht bestehen, wie sie denn auch
in der französischen Kunst noch nicht völlig abgestorben ist.
Es ist einestheils der technischen Virtuosität der französischen
Maler, die jeden Gegenstand für den modernen Geschmack interessant
zu gestalten versteht, anderenteils der Achtung des Künstlerrechtes
bei dem gilt geschulten Pariser Publicum zu danken, dass die Antike
noch immer eine grosse Rolle in der Phantasie des Künstlers spielt.
Der grosse Zusammenfluss der Liebhaber und Freunde der Kunst in
der französischen Hauptstadt gestattet dem Maler, sich frei seine Auf
gaben zu wählen, ohne ängstlich nach den Wünschen eines einzelnen
Bestellers spähen zu müssen; er ist doch sicher, bei halbwegs tüchtiger
Lösung derselben, sein Werk zu verwerten. Aus dem gleichen Grunde
bleibt Paris die Heimat der Malerei des Nackten, während diese sonst
beinahe überall verpönt wird. Wenn dieses aus moralischen Rücksich
ten geschieht, so weiss man, dass sich dahinter zunächst lächerliche
Prüderie und pharisäerhafte Heuchelei birgt. Halbverdeckte Re'ize
wecken grobsinnliche Neigungen, während die reine Nacktheit für eine
gesunde Phantasie nichts Verletzendes besitzt, vorausgesetzt, dass sie
naiv aufgefasst ist. Abgesehen von den biblischen und antiken Tra
ditionen, welche die Wiedergabe nackter Frauenleiber heiligen, würde
die Kunst bitter arm werden, würde man ihr das Reich des Nackten
rauben. Selbstverständlich wird dadurch nicht jede Schaustellung des
Nackten gerechtfertigt. Zahlreich genug ist diese Gattung der Malerei
in der französischen Abtheilung vertreten. Wir stossen auf eine Su-
sanna von Henner, auf einen Frühling von Bouvier, auf eine vom
Alp gedrückte Schläferin von Antigna, auf eine Grille von Le-