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26 Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart.
und eine poetische Verklärung des Landlebens anstellte. Millet ist
es ausschliesslich um den reinen Schein der Wirklichkeit zu thun, idyl
lische Züge einzuflechten überlässt er anderen Malern. Doch sind
solche in Frankreich verhältnissmässig selten anzutreffen und, bezeich
nend genug, die Maler, welche das Landleben idealisiren, die Provinzial
sitten in ihrer naiven Eigenthümlichkeit liebevoll auffassen, sind in der
Mehrzahl im Eisass geboren und zeichnen elsässischesLeben. Brion’s,
Jundt’s, Marchal’s Bilder sind bekannt genug und auch in ihrem
Werthe anerkannt, so dass eine eingehende Besprechung hier überflüs
sig erscheint, zumal diese Gattung der Malerei keinen specifisch fran
zösischen Charakter an sich trägt, vielmehr in ganz Europa heimisch
ist, überall, wo die wuchernde städtische Cultur nach einer Reaction
verlangt, willkommen geheissen wird, üeberhaupt dürfte es hei dem
Umstande, dass so viele in der französischen Abtheilung ausgestellte
Bilder schon auf früheren Expositionen glänzten, schwer halten, neue
Seiten der französischen Kunst zu entdecken, nicht schon oft und langst
Gesagtes zu wiederholen. Meissonier’s hervorragende Stellung nicht
bloss im Kreise seiner Landsleute, wird auf der Wiener Ausstellung nur
aufs Neue bestätigt. Ausser seinem Soldatenbilde war er noch durch
sechs reizende Cahinetstücke vertreten. Ohne gerade auf die Virtuosi
tät des Colorits den Hauptnachdruck zu legen, weiss er doch der Farbe
alle Wirkung ahzugewinnen, und die scharf gezeichneten kleinen Figu
ren lebensvoll zu stimmen und ausdrucksvoll zu gestalten. Meissomer
gehört zu den wenigen Künstlern, deren Fachtüchtigkeit es nicht
geschadet hat, dass sie geistreich sind und fein empfinden, deren Phan
tasie nicht durch technische Arbeit zusammengeschnürt ist, so dass sie
nur einseitig sich bewegen kann. Ueber Hebert s und Bonnat s
italienische Bilder ist ebenfalls schon längst das endgiltige Urtheil ge
fällt. Während der erstere sich von einem einzigen, allerdings wirk
samen Motive, wie die Fieberschauer die Schönheit Italiens überschat
ten, nicht lossagen kann und deshalb auf die Dauer eintönig wirkt,
lässt Bonnat die Sonne über Italien leuchten und verleiht seinen präch
tigen farbenreichen Typen jene fröhliche Ungebundenheit, um welche
wir die südlichen Völker stets beneiden werden. Bonnat’s Bilder
(Non piangere und Italia) reihen sich dem Besten an, womit uns die
Wiener Ausstellung erfreute. Jules Breton mit seinen Erntebildern
aus Artois, die Meister der Landschaftsmalerei Corot, Frangais, Theo
dore Rousseau und seine Anhänger, der als Thiermaler unerreichte
Troyon bieten keine neue Seiten, an welche die Erörterung anknüpfen
könnte. Man merkt auf der Wiener Ausstellung noch nicht, dass die
unter dem Namen paysage intime bekannte Richtung ihre Anziehungs
kraft verloren hat. Es wird aber schwerlich mehr lange dauern, dass
das decorative Princip in der Landschaftsmalerei wieder zur Geltung
kommt. So gross die malerische Wirkung ist, die in der jetzt vorherr-