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Volltext: Die bildenden Künste der Gegenwart

28 Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart. 
Brutalität der Empfindung, die Ueberreizung der Sinnlichkeit, so reicht 
das nicht hin, um die Phantasie der Künstler mit dem Kern der Volks 
bildung, die besser ist, als die Denkweise eines im Ausnahmezustände 
lebenden Gesellschaftskreises, in feste Verbindung zu bringen. Nur 
dadurch aber lässt sich eine stetig gesunde Entwickelung der Kunst 
erwarten. 
Die beste Folie verleiht der französischen Kunst die benachbarte 
belgische. Es gab eine Zeit, in welcher dieselbe zu den grössten 
Erwartungen zu berechtigen schien und einen weitgehenden Einfluss 
auf die Nachbarländer auszuüben begann.. Belgische Meister galten 
den besten französischen Malern ebenbürtig, belgische Gemälde wur 
den deutschen Künstlern als musterhaft zur Nachahmung angewiesen, die 
Antwerpener Akademie als tüchtigste Schule jungen Künstlern empfohlen. 
Nur kurz währte der Ruhm. Belgien besitzt offenbar keine ausreichende 
Lebenskraft, um auf die Dauer eine selbstständige Kunst zu schaffen, 
um diese längere Zeit auf gleicher Höhe zu halten. Der überwiegende 
Einfluss der französischen Bildung lenkt auch die belgische Kunst viel 
fach in französische Bahnen und giebt ihr den Charakter der Nach 
ahmung. Das Gegengewicht finden die wenigen kräftiger organisirten 
Künstler nicht in der frischen lebendigen Gegenwart des eigenen Vol 
kes; sie rufen die Erinnerungen der heimischen Vergangenheit an, und 
suchen die Formen derselben wieder mit möglichster Treue aufzuiri- 
schen. Die belgische Malerei — sowohl die Architektur wie die Sculp- 
tur haben hier nur eine untergeordnete Bedeutung und sind auch auf 
der Ausstellung nur dürftig vertreten — schlug wesentlich zwei Rich 
tungen ein, eine, welche sich an die französische Kunst auschliesst, die 
andere, welche einen archaistischen Charakter imitirt, nicht in der Na 
tur, sondern in alten Bildern ihr Vorbild für Composition, Farbe und 
Zeichnung findet. 
An der Spitze der archaistischen Schule stand der jüngst verstorbene 
Henri Leys, von welchem die Wiener Ausstellung sechs Gemälde 
aufweist. Erholte die Gegenstände der Darstellung gern aus dem 15. oder 
16. Jahrhundert und gab der Composition, der Zeichnung und Farbe 
gleichsam eine künstliche patina, den Schein der Alterthümlickeit. 
Wenn ein Zeitgenosse des Ereignisses dieses zu malen unternommen, 
so würde er die Aufgabe ungefähr in gleicher Weise ansgeführt haben. 
Nur hätte er den Vortheil gehabt, nach der Natur zu arbeiten, wäh 
rend Leys Alles durch das Medium alter Bilder schaut. Man kann 
sich die Sehnsucht nach einer farbenreichen Vergangenheit bei Loys 
erklären, man muss die Energie des Künstlers, mit welcher er sich die 
Gestalten und Formen früherer Jahrhunderte zu eigen macht, bewun 
dern, man kann aber das abgeblasste Leben, das seine Bilder athmen, 
nicht wegleugnen. Jedenfalls wird durch diese interessanten Versuche, 
altes Formenleben wieder zu wecken, nicht der Gang unserer Kunst be-
	        
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