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Volltext: Die bildenden Künste der Gegenwart

wie die nationalen Grossstaaten das politische Leben ausschliesslich 
beherrschen, dieselben auch allein einem reichen künstlerischen Wirken 
die rechte Stätte bieten. Soweit bleibt die Behauptung unbestritten, 
als in der That die kleineren Staaten keine selbstständige Kunst in 
ihrem Schoosse in dauernder Blüthe erhalten, vielmehr nach den gros 
sen nationalen Einheitsstaaten hin gravitiren , die einen nach Frank 
reich, die anderen, wie die skandinavischen Länder, nach Deutschland. 
Gegen die volle Richtigkeit jener Meinung scheint aber die secundäre 
Rolle, die bisher Italien in der modernen Kunst spielt, zu sprechen. 
Hoffentlich wird Italien nicht allzu lange als Ausnahme angeführt 
werden. Die politische Einigung, angebahnt durch die ehrliche Hin 
gabe eines Fürsten an diesen einen grossen Gedanken, durch die 
Energie und" Klugheit eines genialen Staatmannes und das Waffenglück 
verbündeter Staaten hat sich mit einer Raschheit vollzogen, dass es 
zunächst noch überall Noth thut, den äusseren gemeinsamen Rahmen 
fest zu spannen. Die Segnungen der siegreich erstrittenen Einheit auf 
dem Gebiete der nationalen Cultur sind noch nicht gereift. Muss ja 
doch im ehemaligen Kirchenstaate und in Süditalien vielfach erst die 
elementare Bildung gepflanzt werden. Es ist daher begreiflich, dass 
das Kunstleben, die feinste Blüthe nationaler Cultur, noch kein glän 
zendes Bild zeigt, und dass die regste künstlerische Wirksamkeit bis 
her im Norden Italiens, namentlich in Mailand, angetroffen wird. Hier 
sind von längerer Hand die Bedingungen dazu vorbereitet, und die 
Hindernisse freier persönlicher Entwickelung stets geringer gewesen.. 
Aber selbst Oberiatlien müsste auf viel Lob verzichten, würde es mit 
dem gleichen Maassstabe wie die anderen Länder gemessen. Ob eine 
Anlehnung an die glorreiche alte Kunst möglich sei, und ob, wenn sie 
versucht würde, die gewünschten Früchte daraus kämen, erscheint sehr 
zweifelhaft. Der ideale Schimmer, welcher die italienische Kunst des 
16. Jahrhunderts umgiebt, deutet schon an, dass die Denk- und Lebens 
weise jener Periode für uns abgeschlossen und vergangen ist; ausser 
dem aber würde die Riesengrösse und hohe Vollendung der alten Hei- 
mathkunst die Phantasie übermässig belasten und keine freie, unbe 
fangene Bewegung dem Künstler gestatten. Was wir Nichtitaliener 
an Schönheitsreizen und künstlerischen Motiven in Italien entdeckt 
haben, ging bis jetzt an den Eingeborenen ohne Wirkung vorbei. Und 
doch liegt hier vielleicht der beste Ansatz und der fruchtbarste Keim 
zu einer lebendigen nationalen Kunst. Es ist doch nicht anzunehmen, 
dass nur die Fremden die farbenreiche Pracht der Landschaft, die An- 
muth des Volkes, dessen Sitten vielfach noch durch holde Naivität fesseln, 
stark empfinden; der Glaube ist vielmehr berechtigt, dass die neuere 
Bildung, welche die Empfänglichkeit für die landschaftliche Schönheit und 
für die Reize des naiven Volkslebens vorzugsweise weckte, nur noch einer 
grösseren Vertiefung und Kräftigung in Italien bedarf, um auch hier die
	        
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