32 Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart.
gleiche Wirkung zu üben. Bis jetzt ist freilich wenig davon zu spüren.
Am weitesten steht die Malerei zurück. Es gieht weder Traditionen,
die befolgt werden, noch eine Schule, welche den einzelnen Talenten
den Weg bahnt und die Anlagen in wirkliche Fähigkeiten verwandelt.
Die technische Ausbildung überschreitet in vielen Fällen kaum die
ersten Anfänge. Oft genügt eine einfache Colorirung der Flächen,
noch häufiger sucht man durch schreiende Farbencontraste Effect zu
erzielen. Hier und dort bemerkt man die Einflüsse Pariser Ateliers,
auf welche wohl auch manche Wahl der Gegenstände der Darstellung
zuruckzuführen ist. Auch die italienische Malerei huldigt den Orient,
doch ohne über die ausreichenden Mittel der Schilderung zu verfügen.’
Der Pilgerzug nach Mekka von Ussi in Florenz, dessen Werke in der
letzten Pariser Weltausstellung den allgemeinsten Beifall’fanden, er
scheint trotz seiner Grösse oder vielleicht wegen seiner Grösse leer.
Und ebenso weckt Viotti’s altägyptische Idylle mannigfache kritische
Bedenken. Ein bemerkenswerther Zug der italienischen Malerei ist
die Vorliebe für historische Scenen. Die Geschichte des Mittelalters
und der neueren Zeiten, die italienische Local- und Familiengeschichte
wild uns in einer stattlichen Reihe von Bildern vorg'eführt. Bianca
Capello, Marino Falieri, die Lambertazzis und Buondelmontis, die Vis
contis und Barbarigos u. s. w. empfangen alle durch die italienische
Kunst neues Lehen. Oft freilich nimmt man statt des selbstständig
wirkenden Bildes eine Illustration eines historischen Ereignisses in den
Kauf und findet nichtssagende Schilderungen unter klangvollem Titel.
Die patriotische Gesinnung muss solche Verirrungen des künstlerischen
Denkens entschuldigen, welche ja auch bei uns längere Zeit vorherrsch
ten und nur langsam einer geläuterten ästhetischen Anschauung zu
weichen beginnen. Erfreulicher wirken einzelne Genrebilder Bianchi’s,
H. Induno’s, die an die deutsche gemüthliche Auffassung anstreifen,
und mehrere keck und frisch hingeworfene Soldatenbilder z. B. Cam-
marano’s Bajonnetcharge derBersaglieri. Von Landschaften fesselten
insbesondere zwei Campagneansichten von Vertunni die Blicke der
Beschauer.
Im Kreise der Plastik stellt sich das Verhältniss Italiens zu den
übrigen Ländern scheinbar viel günstiger. Die Marmortechnik hat
hier stets eine grosse Tüchtigkeit bewahrt, ja sie ist geradezu ein Mono
pol der betriebsamen Bevölkerung von Carrara geworden. Wie hilf
los wäre die Lage der meisten europäischen Bildhauer, wenn sie auf
die Mitwirkung der scarpellini verzichten müssten, die es so vortreff
lich verstehen, das Modell in Marmor treu zu übertragen und die In
tentionen des Künstlers auch in diesem spröden Materiale verständ
nisvoll , zuweilen sogar mit erhöheter Wirkung wiederzugeben. Wäh-
i end aber früher die technischen Fertigkeiten sich der künstlerischen
Phantasie unterordneten, glauben sie jetzt selbstständig auftreten zu