34 Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart.
die höchsten Lockungen des Realismus und des malerischen Scheines
abbringen. An plastischen Talenten ist in der italienischen Kunst
welt kein Mangel. Maggi’s lesendes Mädchen erfreut durch die ein
fache Empfindung, Tantardini’s Sockelstatue zum Cavourdenkmal
in Mailand, „die Geschichte“ ist wirkungsvoll aufgebaut. Auch Argenti,
Peduzzi, Ansiglioni verdienen hervorgehoben zu werden. Dennoch
wird die italienische Sculptur erst dann zu voller Blüthe gelangen,
wenn die Phantasie der Künstler einen festeren Ausgangspunkt und ein
einheitliches Ziel gewonnen hat. Das Maasslose, Zerfahrene, Oberfläch
liche kann nur durch eine bessere Schulbildung beseitigt werden. Als
Lehrer würde vielleicht die Frührenaissance sich noch besser empfeh
len, als die Antike. Jene steht dem Volksthum näher, ist der reali
stischen Richtung verwandter und besitzt vor allem eine Eigenschaft,
welche der modernen italienischen Plastik am meisten abgeht: die
energische Kraft der Formen. Die Industrie hat dem Rückgänge auf
die Muster der Renaissance neues Leben und glänzende Triumph^ zu
danken. Es wäre wohl den Versuch werth, auch die jungen Künstler
mit den Vorbildern der altheimischen Sculptur vertraut zu machen,
nicht, dass sie dieselben nachahmen, wohl aber, um an ihnen die eigene
Gedanken- und Formenwelt zu regeln und zu messen.
Beneidenswerth wäre die Lage der deutschen Kunst, wenn
das Heilmittel für sie in ähnlicher Weise wüchse, und das blosse Zurück
wandeln der eingeschlagenen Bahn ihr die erwünschte Hilfe brächte.
Denn wenn sie auch nicht schwer und ernst krankt, so erscheint doch
ihr Zustand keineswegs gesichert und befriedigend. Dafür legen schon
die arg widersprechenden Urtheile Zcugniss ab, welche über sie bei
Gelegenheit der Ausstellung laut wurden. Dass sie alle Nebenbuhler
überflügelt habe, konnte man hier und da vernehmen, ebenso oft und
vielleicht noch öfter, dass sie den Wettkampf ehrenvoll bestanden, ohne
aber den unbedingten Sieg davonzutragen, und endlich wurden auch
Stimmen laut, welche ihre Niederlage beklagten. Einen schlechthin
günstigen Eindruck zu empfangen, verhinderte das viele Mittelgut,
welches in der deutschen Abtheilung wucherte. Diesem hätte eine
strengere Auswahl der eingesendeten Werke steuern können. ^Bei der
herrschenden Decentralisation der Kunst sind aber ähnliche Einrich
tungen, wie sie in Frankreich bestehen, wo eine Staatscommission über
die Zulassung entscheidet, bei uns schwer durchführbar. Wir müssen eben
diese Nachtheile der Decentralisation tragen, wie wir uns ihrer Vor
theile erfreuen. Die übertriebene Schonung nicht immer berechtigter
Einzelinteressen ist übrigens nicht der einzige Nachtheil, der aus der
Decentralisation unserer Kunst entspringt. Die Richtung, welche die
deutsche Malerei seit mehreren Jahren eingeschlagen, verträgt sich
schlecht mit dem Kleinleben, welches in gar mancher unserer Kunst
städte herrscht. Es gilt nicht bloss die Erhebung des Colorits zu dem