Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart. 35
vornehmsten Allsdrucksmittel der Kunst, es wird auch das Virtuosen-
thum in der Farbengebung angestrebt, dabei im weiten Umkreis des
vergangenen und gegenwärtigen Lebens Alles aufgesiicht, was an
malerisch dankbaren Motiven in demselben geboten wird. Der Künst
ler, welcher sich solche Ziele setzt, muss über einen reichen Anschauungs
kreis gebieten, tiefer in das Leben tauchen, eine grössere Mannigfal
tigkeit von Formen und Gestalten an sich vorüberziehen lassen, früh
zeitig schon über die Mittel seiner Kunst gebieten, Hand, Auge und
Phantasie schärfen und ausbilden. Lernt er dieses Alles bei uns in
seinen Jugendjahren? Wir beobachten bei unseren jungen Künstlern
vielfach eine Vorliebe für eine abgeschlossene Lebensweise, die am
meisten an unsere Studentenverfassungen erinnert; wir reden ohne
Arg von Malercolonien, die sich da und dort angesiedelt haben und für
sich in eng abgestecktem Kreise ein fröhliches Dasein feiern, wir finden es
endlich begreiflich, dass das ideale Wesen der Kunst sich auch in den
persönlichen Verhältnissen des Künstlers selbst während seiner Lehrzeit
offenbare. Dadurch wird erreicht, dass die letztere in der Erinnerung
auch der spätesten Jahre als der glücklichste Lebensabschnitt nachklingt,
aber auf die technische Ausbildung wirkt diese ungebundene Lehrzeit
nicht immer förderlich, und bleibt der Künstler längere Zeit in diesem
Kreise gebannt, so droht ihm die Gefahr, niemals zu voller Selbst
ständigkeit zu gelangen und was er allein werth sei und zu leistem
vermöge, zu erkennen. Und doch ist die sichere Schule und die feste
Individualität die wichtigste Bedingung, um in der von unsere)' Kunst
eingeschlagenen coloristischen Richtung grösseren Erfolg zu erringen.
Noch eine andere Thatsache verdient erwähnt zu werden. Die Mehr
zahl unserer Maler wendet sich erst verhältnissmässig spät zur Kunst
als Fachberuf.
Die socialen Einrichtungen, nicht in letzter Linie der Wunsch,
jenes Maass von Bildung sich zu verschaffen, welches die Erfüllung der
Wehrpflicht als „Einjährig-Freiwilliger“ gestatte, bringen es mit sich,
dass viele unserer Maler mit der gleichen geistigen Reife in die Kunst
schule eintreten, welche das Universitätsstudium erfordert. Statistische
Belege liegen für diese Behauptung nicht vor, sie würden sie aber
schwerlich Lügen strafen. Die natürliche Folge dieser Zustände ist
das entschiedene Ueberwiegen des Wissens über das technische Können,
welches nur selten und mit grosser Mühe aufgehoben werden kann.
Die Mehrzahl unserer Maler zeichnen sich vor den Künstlern anderer
Völker durch den Reichthum und die Beweglichkeit ihrer Gedankenwelt,
durch die Grösse ihrer Intentionen, durch den ernsten Glauben an die
hohe Würde der Kunst aus. Dieses Alles geht gewöhnlich der tech
nischen Reife voran und lässt die technische Durchbildung nur zu häufig
als eine leidige Nothwendigkeit erscheinen, deren man freilich nicht
entrathen kann, welche man aber nicht mehr mit naiver Liebe treibt.
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