38 Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart.
schönen Farbenflächen, das eine oder andere virtuos gemalte Gewand,
Rüstungsstück, sondern die Gesammtstimmung und Harmonie des Co-
lorits den künstlerischen Werth einer malerisch gefassten Scene be
stimmen. Das sollte doch schon die Analogie mit der verwandten Kunst
der Musik lehren. Gerade in diesem Punkte stehen wir noch von dem
rechten Ziele weit ab. Man vergleiche ein deutsches historisches Bild,
welches irgend ein grossartiges weltgeschichtliches Ereigniss versinn
licht, mit dem Bilde Kein br an dt’s, das eigentlich einen ganz trivialen,
nichtssagenden Vorgang, den Ausmarsch einer Amsterdamer Schützen
compagnie zu einem Preis- und Wettschiessen um einen Hahn oder ein
paar Goldstücke, verkörpert. Wo pulsirt das reichere historische Leben,
d. h. wo werden wir von der Empfindung unwiderstehlich gepackt, dass
ein einziges grosses Interesse alle Individuen durchdringt, dass sie ihre
Alltagsgedanken bei Seite gesetzt, sich einer mächtigen Leidenschaft,
einer tiefen Regung hingeben, wo ist die gewaltigere dramatische Kraft,
die lebendigere Action? Die Antwort braucht nicht gegeben darum auch
nicht eingehender ausgeführt zu werden, in welcher Richtung sich
die Studien unserer Maler bewegen müssen, um endlich die lenden
lahme Natur unserer historischen Darstellungen zu brechen.
Zunächst müsste freilich die Voraussetzung der historischen Kunst,
die Portrait male r ei, einer besseren Pflege theilhaft werden. Mit dieser
war es quantitativ und qualitativ auf der Ausstellung schlecht bestellt.
Den Stein auf die Künstler deshalb zu werfen, wäre unrecht. Die Häss
lichkeit der Frauentracht, insbesondere der Haartracht, die wir im Leben
aus guten Gründen übersehen, macht das Damenportrait beinahe un
möglich, die Dürftigkeit der physischen Ausbildung, die Einbohrung in
einen einseitigen Geschäftskreis, worüber die freie Persönlichkeit zu Grunde
geht, das männliche Portrait in den meisten Fällen zu einer undankbaren
Aufgabe. Höhere Militairs und Künstler bieten fast allein noch dem Maler
anziehende Typen, die letzteren selbst scheinen zu verzweifeln, dem
gegenwärtig lebenden Geschlecht künstlerische Seiten abzugewinnen
und in einer Art von Resignation übertragen sie die modernen Gestalten
in vergangene Jahrhunderte, um sie portraitfähig zumachen. Lenbach
und Leibi sind die hervorragendsten Führer dieser Richtung, welche
es versucht, durch das Medium der alten niederländischen oder deut
schen Kunst unsere Zeitgenossen zu betrachten. Von der technischen
Aneignungskraft der Künstler legen diese Bilder ein vortreffliches
Zeugniss ab, es steht aber zu fürchten, dass sie nach beiden Seiten ihres
Strebens hin Anstoss erregen. Um Studienköpfe in einem bestimmten
Stil zu malen, dazu ist ihnen keine hinreichend freie Bewegung ge
gönnt, ein wahrhaftiges Conterfei zu liefern, dazu zwingen sie den
Köpfen viel zu fremdartige Formen auf.
Minder spröde zeigt sich die Natur der Gegenwart gegen die
Genremaler. Während die Portraitmaler aus der Gegenwart flüchten