Gruppe XXV. Die bildenden Künste der Gegenwart. 39
und sie mit den Farben vergangener Zeiten bekleiden, greifen die Genre-
maler mit kecker Hand in dieselbe und bolen eine unerschöpfliche Reihe
künstlerischer Anregungen heraus. Nur wenden sie sich nicht an die
gleichen Gestaltenkreise wie die Portraitmaler. Es ist die Kinderwelt
die unteren Volksschichten, die Landleute, Gebirgsbewohner, jene
Kreise, in welchen noch festgefügte Sitten herrschen, die einfache Natür
lichkeit der Empfindungen und Bewegungen sich nicht verloren, die
ausgleichende Cultur die besonderen Charaktere noch nicht verwischt
hat, mit denen ihre Phantasie am liebsten verkehrt. Die Genremalerei
umfasst nicht allein das Beste, was deutsche Maler in den letzten Jahren
geschaffen, sie bewahrt auch die grösste Eigenthümlichkeit und unter
scheidet uns am meisten von den anderen Kunstvölkern England
ausgenommen. Unsere Genremaler legen ein nicht geringes Gewicht
auf den Gegenstand der Darstellung. Es soll ihnen derselbe nicht
allein Anlass geben, ihre technische Kunst zu zeigen, sondern auch an
und für sich Gefallen erregen, die Gedanken des Beschauers beschäftigen,
seine Empfindungen reizen. Vom eigentlichen Erfinden der Gegen
stände der Darstellung kann in unserer Genremalerei nicht füglich die
Rede sein, da der Künstler überall von einer liebevollen und eingehen
den Naturbetrachtung aiisgeht, er selbst in unscheinbaren Vorgängen
des wirklichen Lebens so viel des Anziehenden und Anmuthigen er
blickt. Wohl aber überrascht die Unermüdlichkeit im Finden neuer
Bildmotive. Würde man dieselben zusammenstellen, man würde
staunen, welch weite Welt dieselben umfassen, und das Staunen steigert
sich noch, wenn man erwägt, wie selten trotz dieser Fülle und Mannig
faltigkeit des Inhalts der poetische Anklang fehlt. Von dem heiteren
Spiele des Kindes, dem ungebundenen Treiben des Buben, dem ersten
seligen Ahnen des Mädchens bleibt nichts, was das Klemleben des
Volkes an Leid und Lust, an Scherz und Ernst bietet, unvergessen,
bleibt keine Empfindung vom derb Komischen bis zu dem Herben und
Tragischen unberührt. Das Colorit unterordnet sich der psychologischen
und physiognomischen Schilderung, so dass auf die Wahrheit und Schärfe
der letzteren der Hauptnachdruck gelegt wird, doch ist bei den besse
ren Werken die sorgsame Pflege des ersteren Ausdrucksmittels bemerk
bar. Den novellistischen Ton, der jetzt in der deutschen Kunst so reich
klingt, hat David Wilkie bekanntlich zuerst angeschlagen. Es wäre
interessant zu erfahren, ob er einen unmittelbaren Einfluss auf unsere
Genremalerei übte, was bei der weiten Verbreitung der Kupferstiche
nach den Bildern Wilkie’s nicht unmöglich wäre, oder ob die unleug
bare Verwandtschaft zwischen der englischen und deutschen Auffassung
auf der fernen Stammesgemeinschaf c beruhe. Gegenwärtig ist diese
Richtung bei uns allgemein verbreitet. Alle Vororte deutschen Kunst
lebens, Düsseldorf, wie Berlin, wie München haben gleichen Antheil an
dem Ruhme, die Genremalerei zu dem Lieblingszweige deutscher Kunst,