o TISCHREDE, GEHALTEN VOM HERRN K. K. PRO.
FESSOR OBERBAURAT OTTO WAGNER • 15. JULI 1905
B Q B Meine lieben Schüler! B Q
BO BO
Vor allem quittiere ich herzlich dankend die Ehrung, die Sie mir
heute darbringen.
Ich quittiere diese Ehrung aber nur zur Hälfte; gut die andere
Hälfte dieser Ehrung gebührt sicherlich Ihnen, den Schülern.
Es war und es ist meine Aufgabe, aus totem Gestein feurige
Kristalle herauszubrechen und zuzuschleifen und ihnen Leuchtkraft
zu verleihen.
Diese zutage geförderten Kristalle, meine Herren, sind Sie und
viele dieser Kristalle verbreiten heute schon ein glänzendes, ja ein
blendendes Licht.
Diese leuchtenden Kristalle umgeben mich und erhöht diese
glänzende Fassung meinen Wert um Bedeutendes. Schüler und
Lehrer sind dadurch ein untrennbares Ganzes geworden; das wollte
ich feststellen.
Die früheren Schulen waren Architekturschulen und beschäftigten
sich mehr oder weniger glücklich mit der Lösung der Frage: In
welchem Stile sollen wir bauen? Unsere Schule ist eine Baukunst,
schule und hat sich als Aufgabe die Lösung der Frage gestellt:
Wie sollen wir bauen?
Frage ich mich heute: Hat die Schule nach ihrem zehnjährigen Be.
stände diese Aufgabe gelöst, so muß ich mit voller Überzeugung
mit Ja antworten.
Die Schule hat diese Aufgabe gelöst: Dadurch, daß sie erkannte,
daß Kunstwerke und Menschen in ihrer Erscheinung eins sein
müssen. Dadurch, daß sie erkannte, daß die Kunst und die Menschen
etwas Veränderliches, etwas beständig VTerdendes seien. Dadurch,
daß sie sich bemühte, mit der Menschheit und ihren Errungenschaften
gleichen Schritt zu halten; dadurch, daß sie das wertvollste Gut des
B Kunstjüngers, die keimende Individualität, schützte, endlich dadurch.