Die Ruskinball, ein Verfammlungsgebäude in Bournville
Man komme uns nicht mit der Phrafe von der Unentbehrlich"
keit der Mietskaferne für die Unterbringung breiter Bevölke=
rungsmaffen, fondern vergleiche mit den eben angeführten
Zahlen die folgenden: In England kommen im Jahre 1891 auf
ein Haus in London 7,6 Einwohner, Liverpool 5,7, Manchefter
und Birmingham 5, Leeds und Bradford 4,7 Einwohner. Es
geht aus diefen Zahlen hervor, daß in dem Lande der ftärkften
induftriellen Konzentration das Einfamilienhaus die herrfchende
Wohnungsform ift. □
Man pflegt die wirtfchaftliche Überlegenheit des Maffenmiets«
haufes über das Familienbaus mit der Verbilligung der Bau»
koften zu begründen. Demgegenüber weift Stadtbauinfpektor
Fabarius*) nach, daß die Baukoften fich in der Tat vom drei»
flockigen Haufe ab nicht mehr vermindern, dagegen bei fünf
Gefchoffen erhöhen. Wenn das Einfamilienhaus bisweilen eine
erhebliche Verteuerung der Baukoften bedeutet, fo liegt das vor
allem an den völlig unzweckmäßigen und fcbematifcben Bau»
Ordnungen, die an Mauerftärke, Feuerficberheit und Husmeffung
der Treppen bei kleinen Einfamilienhäufern die gleichen For»
derungen ftellen, wie bei den Mietskafernen, für die fie urfprüng»
lieb erlaffen wurden. Dagegen ftellen fich in London die Bau»
koften des Kubikfußes in einem ftädtifeben Maffenmietsbaufe
höher, als in einem kleinen Cottage. Zudem muß felbft Voigt,
der Verteidiger der Mietskaferne, zugeben, daß deren Baupreis
durch den mit ihr verbundenen unwirtfchaftlichen und unratio»
nellen Luxus verteuert wird. Es kommt noch hinzu, daß der
Preis des Bodens, wie fchon erwähnt, die Neigung bat, mit der
Zahl der darüber getürmten Gefchoffe in die Höbe zu fteigen,
und fo etwaige Baukoftenerfparniffe wett zu machen. Soviel
von Baukoften und Bodenpreifen! □
*) Zeitfcbrift für Wobnungswefen, Jahrgang V, Nr. 81.
NHTURENTFREMDUNG DER GROSSSTHDTER
Eine der größten Gefahren der modernen Großftadt haben
wir in der waebfenden Naturentfremdung ihrer Bewohner zu
fehen. Wie die Mietskaferne ihre Infaffen vier und mehr Treppen
über den Boden der Mutter Erde binausbebt, fo entrückt fie
ihn auch immer weiter der freien Landfcbaft und türmt immer
neue Steinwälle dazwifchen. Die Privatgärten find verfchwunden
und die öffentlichen Anlagen, die mit unverhältnismäßig großem
Koftenaufwand gefchaflfen und erhalten werden, vermögen dafür
keinen Erfa^ zu bieten. Stundenlang können wir durch die
einförmig geraden Häuferreiben wandern, ohne einem fchattigen
Baum, einer blühenden Blume zu begegnen. Erft eine um»
ftändlicbe Bahnfahrt bringt uns ins Freie. Die taubeglänzte
Wiefe, das goldene Ahrenfeld ift für den Großftädter zu einem
Scbaufpiel geworden, zu dem nur das koftfpielige Bahnbillett
Zutritt verfchafft. □
WOHNUNGSÜBERVÖLKERUNG
Werfen wir nun einen Blick ins Innere der Käufer. »Über»
völkert nennt die Statiftik eine Wohnung, wenn feebs Perfonen
und mehr in einem Zimmer, elf und mehr in zwei Zimmern
häufen. Und felbft davon gibt es eine recht erkleckliche Anzahl:
in Berlin nahezu 30000, in Breslau 7000, in Cbemnitj 5000, in
Plauen i. V. 3000 ufw. Man denke: fechs Perfonen und mehr
in einem Raume, elf und mehr in zwei Räumen!«*) In diefen
engen vier Wänden fpielt fich das ganze Leben einer Familie ab.
Hier wird gekocht, gegeffen, gefchlafen. Hier furrt die Näh»
mafchine der Heimarbeiterin und hier brodelt und dampft der
Kübel der Wäfcberin. Eng aneinander gedrängt leben die Eltern
*) Das Proletariat, von W. SOMBART. Litb. Hnftalt Rütten & Loening,
Frankfurt a. M.
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