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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

glaube das nicht, und zwar aus drei Gründen. Erftens werden 
die Vertreter diefer gefetjlicb gefcbütjten Intereffen, von denen 
man behauptet, daß fie lieh dem Fortfcbritt wie eine feftgefügte 
Phalanx entgegenftellen, in unferm Fall durch die Macht der 
Verhältniffe und den Lauf der Ereigniffe in verfchiedene Lager 
geteilt werden. Zweitens wird eine ganze Anzahl von Grund* 
und Hausbefitjern, die weit davon entfernt find, den von einer 
gewiffen Klaffe von Sozialiften angedrohten Forderungen nach* 
zugeben, weit eher geneigt fein, der Logik der Tatfachen Zu* 
geftändniffe zu machen, wenn fich diefe in einem fichtbaren ge* 
fellfcbaftlicben Fortfcbritt offenbart. Und drittens wird die um* 
faffendfte, wiebtigfte und fcbließlicb einflußreiebfte Intereffenfchicbt 
- ich meine alle diejenigen, die ihren Lebensunterhalt durch 
körperliche oder geiftige Arbeit verdienen — naturgemäß für 
diefe Wandlung eintreten, fobald fie nur einmal ihr Wefen be= 
griffen haben. □ 
Ich möchte auf jeden diefer Punkte genauer eingeben. Ich fagte 
in erfter Linie, daß die Intereffen des Befitjes gefpaltet und in 
zwei gegnerifche Lager geteilt werden würden. Man bat eine 
derartige Spaltung auch febon früher erlebt. So wurden in der 
erften Zeit der Eifenbabngefe^gebung die Intereffen der in den 
Kanälen und im Poftkutfcbenwefen inveftierten Kapitalien in 
große Aufregung verfemt, und es wurde nichts unverfucht ge 
laffen, die bevorftebende Gefahr abzuwenden. Aber diefer Wider- 
ftand wurde bald durch andere mächtige Intereffen gebrochen. 
Es ftellten fich jenen Intereffen zwei andere entgegen, das be 
wegliche, Anlage fuebende Kapital und das Bodenkapital, das 
Land zu verkaufen wünfehte. (Ein dritter Gegner, die arbeit* 
fuchende Klaffe, trat damals gerade erft mit ihren Anfprüchen 
hervor.) Man überlege nun, welche Wirkungen ein erfolgreiches 
Gartenftadtexperiment haben muß. Muß es nicht einen Keil 
zwifchen die feften Schichten der gefe^licb gefehlten Intereffen 
treiben und es der Gefetjgebung ermöglichen, kraftvoll eine neue 
Richtung einzufchlagen? Ohne Zweifel! Denn ein folcbes Ex 
periment wird fcblagende Beweife für eine ganze Reibe von 
Möglichkeiten liefern. Es wird unter anderm beweifen — alles 
aufzufübren dürfte zu weit geben —, daß auf Neuland, falls es 
nur unter einem vernünftigen Bodenrecbt ftebt, in gefundheit* 
lieber und wirtfcbaftlicber Beziehung mehr erreicht werden kann 
als auf dem Grund und Boden, der beute einen bedeutend 
höheren Marktwert bat. Und diefer Nachweis wird der Rück 
wanderung aus den alten, übervölkerten Städten Widerftand der 
erftgenannten Kategorie weiter entkräften. Inhaber von Kapital 
werten in veralteten Unternehmungen werden beftrebt fein — 
felbft wenn es nur mit großen Opfern gefcheben kann — einen 
Teil ihrer altebrwürdigen Befi^titel abzuftoßen und in neuen 
Unternehmungen in Grund und Boden anzulegen, der fich im 
Gemeindebefit) befindet; denn fie werden fich von dem Grund* 
fatj leiten laffen, nicht »alles auf eine Karte« zu fe^en. Diefer 
innere Widerftreit des Kapitalintereffes wird die Widerftandskraft 
des inveftierten Kapitals neutralifieren. n 
Aber ich glaube, daß die Macht des inveftierten Kapitals in 
anderer Weife noch empfindlicher erfebüttert werden wird. Wenn 
der vermögende Mann als Feind der Gefellfcbaft perfönlich an 
gegriffen und angeklagt wird, fo glaubt er nur febwer an den 
guten Glauben feiner Ankläger und wenn Anftalten gemacht 
werden, um ihn durch Staatsgewalt feines Befitjes zu berauben, 
fo wird er heftigen Widerftand leiften und fich dabei jeglicher 
Mittel — gefetjlicber und ungefetjlicber — bedienen und dies oft 
mit nicht geringem Erfolg. Aber der vermögende Mann ift im 
allgemeinen ebenfowenig aus lauter Selbftfucbt zufammengefefjt 
wie der Arme. Und wenn er fiebt, daß feine Käufer und fein 
Grund und Boden im Werte finken — nicht durch gewaltfame 
Mittel, fondern weil diejenigen, die fie bewohnten, gelernt haben, 
viel beffere eigene Käufer auf Grund und Boden zu errichten, 
der ihnen unter günftigeren Bedingungen überlaffen wurde, und 
ihren Kindern viele Vorteile zugute kommen zu laffen, die fie 
ihnen auf feinem Eigentum nicht bieten konnten —, fo wird er fich 
als Pbilofopb in das Unabänderliche fügen, ja in feinen befferen 
Stunden fogar diefe Wandlung der Dinge begrüßen, obwohl fie 
für ihn einen weit größeren pekuniären Verluft zur Folge bat, 
als ihm durch Zufälligkeiten beim Enteignungsverfabren zuge 
fügt worden wäre. In jedem Menfcben lebt bis zu einem ge 
wiffen Grade der Inftinkt zu reformieren und ein Gefühl der 
Rückficbt auf feine Näcbften. Und wenn diefe natürlichen Gefühle 
feinen pekuniären Intereffen entgegenarbeiten, fo wird der Geift 
des Widerftandes notgedrungen befänftigt. Dies trifft gewiffer* 
maßen für alle Menfcben zu, ja bei manchen tritt fogar an die 
Stelle diefes Widerftandes eine begeifterte Opferwilligkeit für 
das Wohl des Vaterlandes, felbft wenn er liebgewordenen Befit) 
aufgeben muß. So kommt es, daß das, was äußere Gewalt nie 
abgezwungen hätte, aus inneren Beweggründen freiwillig ge 
währt wird. D 
Und nun möchte ich noch einen Augenblick bei dem größten, 
wertvollften und dauerbafteften Intereffengebiet verweilen - bei 
den Intereffen der Gefcbicklicbkeit, Arbeit undTatkraft, desTalentes 
und des Gewerbfleißes. In welcher Weife werden alle diefe 
betroffen werden? Ich antworte: die Kraft, die die berechtigten 
Intereffen der Haus- und Grundeigentümer fowie des beweg 
lichen Kapitals fpaltet, wird die Intereffen aller derer, die ihren 
Lebensunterhalt durch Arbeit gewinnen, vereinen und ftärken. 
Letjtere werden ihre Kräfte mit den Grundeigentümern, die 
verkaufen wollen, und den Kapitaliften, die ihr Geld anzulegen 
beftrebt find, vereinigen, und dem Staate die Notwendigkeit nabe 
legen, einen Neuaufbau der Gefellfchaft durch die Gefetj- 
gebung zu erleichtern. Und wenn der Staat dem nur langfam 
nachkommt, fo werden fie die Initiative zu weiteren umfaffen- 
deren Gartenftadtexperimenten ergreifen, wenn nötig in modi 
fizierter Form, fo wie fie fich aus der Erfahrung als notwendig 
ergeben werden. Eine folcbe Aufgabe, wie die Erbauung einer 
Städtegruppe, in der Art wie unfer Diagramm fie darftellt, ift 
wohl dazu angetan, alle Arbeitsfreudigen in Begeifterung zu 
entflammen. □ 
Sie appelliert an die böcbften Fähigkeiten von Ingenieuren aller 
Kategorien, von Architekten, Künftlern, Ärzten, bygienifchen Sach- 
verftändigen, Landfchaftsgärtnern, Sachverftändigen auf dem Ge 
biete des Ackerbaues, Feldmeffern, Baumeiftern, Fabrikanten, Kauf 
leuten, Finanziers, Organifatoren der Gewerkfcbaften, Genoffen- 
fchaften und Unterftü^ungskaffen fowie an alle Formen ungelernter 
und gelernter Arbeit und mittleren Talentes. Gerade die ge 
waltige Größe der Aufgabe, die einige meiner Freunde erfcbreckt, 
gibt in der Tat erft ein Bild von dem Wert, den fie für die All 
gemeinheit bat, wenn man nur im richtigen Geift und mit den 
richtigen Zielen an fie berantritt. Wie febon oft betont, ift Arbeit 
in Hülle und Fülle eines der größten Bedürfniffe unterer Zeit, 
und feit Beginn der Zivilifation ift nie ein folcbes Arbeitsfeld 
erfcbloffen worden, wie es fich in der vor uns liegenden Aufgabe 
bietet, in der Aufgabe eines vollftändigen Neuaufbaues der Gefell 
fchaft unter Benu^ung jahrhundertelanger Erfahrung der Technik 
und des Wiffens. Gewiß, es war »ein großer Arbeitsauftrag, der 
fich zu Beginn diefes Jahrhunderts bot«, als es galt, Schienenwege 
zu bauen, die das Land der Länge und Breite nach durchqueren 
und alle Städte und größeren Ortfcbaften in einem großen Ne^- 
werk vereinten. Aber fo groß auch der Einfluß des Eifenbabn- 
wefens war, fo berührte er doch das Leben des Volkes nur in 
wenigen Punkten, befonders im Vergleich zu der neuen Aufgabe, 
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