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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

DER GARTEN HM HAUSE 
würdiger Geftaltung einzuräumen. Im Eifenacher »Regulativ« 
von 1861 war die Freiftellung nicht gefordert. In den »Rat= 
fcblägen« von 1898 heißt es: »Die Würde erfordert eine aus= 
gezeichnete und freie Stellung mit reichlichem Licht und be= 
quemen Zugängen von mehreren Seiten . .. Die Kirche gehört 
auf einen offenen Platj und foll ficb nicht an andere Gebäude 
anlebnen.« Wieder erweifen ficb die »Ratfcbläge« meiner Hnficht 
nach als Rückfchritt gegen das Regulativ. (Ein Schluß folgt demnäcbft.) 
FENSTERGHRTEN 
enn in den erften Frühlingstagen der Saft in den Pflanzen 
fteigt und der frifcbe Erdgeruch alles Lebende verjüngt, 
erwacht in jedem Menfcben, den je der Hauch eines ge= 
funden, normalen Lebens berührt hat, der Wunfcb, in der Erde 
herumzuwüblen und etwas zu pflanzen und zum Wachstum zu 
bringen. Der Hnblick der feuchten, braunen, duftenden Erde er» 
weckt ein Gefühl von primitiver Verwandtfcbaft mit ihr und die 
Bemühungen,indiefchlummernden,dunklen Samen und die dürren 
Wurzeln und Zwiebeln wieder Leben zu bringen, fcheint uns von 
neuem an das Weltall anzugliedern. Nichts kann von größerer 
Wirkung fein und keine geiftige und feelifche Erziehung kann folcbe 
Erfolge aufweifen. Die in der Seele gleich den Saaten und Zwiebeln 
fcblummernde Empfindung für Schönheit erwacht zugleich mit 
dem frifcben Grün und das Bedürfnis nach einer normaleren 
Lebensweife folgt daraus ebenfo ficher, wie die Pflanzen ihre 
Ranken zur Sonne emporftrecken. □ 
Jeder Verfuch einer fozialen und induftriellen Verbefferung 
trägt diefen Stempel, und der moderne Geift wird ganz davon 
durchdrungen und kehrt beharrlich zu den fundamentalen Lebens« 
dementen zurück. Der Gärtner, der eine ganze Reibe von Parks 
anlegt, kann zu den Künftlern gezählt werden und doch unter« 
fcbeidet fich das Gefühl, das ihn dazu treibt, gar nicht von dem« 
jenigen einer Frau oder eines Kindes, deren Leben fo arm an 
Schönheit ift, wenn fie eine dürftige Blumenkifte am Fenfter 
aufftellen, in der die Pflanzen bei der Enge des Raumes einen 
Kampf um ihr Dafein führen müffen. □ 
Und zwifchen diefen zwei Extremen liegen die verfchiedenften 
Hrten von Gartenbau, die mit Liebe betrieben werden können. 
Noch vor wenigen Jahren glaubte man, daß ein Garten nur auf 
dem Lande möglich fei. In der Stadt galt das koftfpielige Ge« 
wäcbsbaus als die einzige Möglichkeit für den Blumenliebhaber, 
ficb mit Pflanzen zu umgeben. Für Unbemittelte follte eine 
Hnzabl von Zimmerpflanzen und einige Blumen beim Tor oder 
auf dem Balkon im Sommer das allein Mögliche fein. Jetjt er« 
wachen aber neue Regungen der Schönheit entgegen und man 
beherzigt das Wort des Entbufiaften, der gefagt bat: »Vor allem 
ziehet Pflanzen! Wartet nicht auf viele Morgen oder auch nur 
auf einen Morgen Erde. Habt ihr ein Fenfter mit etwas Sonnen« 
fcbein? Dann könnt ihr jedes Genuffes, den ein wirklicher Gärtner 
kennt, teilbaft werden. Wenn ihr das Glück habt, unter dem 
Fenfter einen Fleck wirkliche Erde zu befitjen, dann könnt ihr 
euch für bevorzugt halten, denn ihr habt dann alles Nötige für 
die Urftufe des Gartenkünftlers.« □ 
Für die Mehrzahl der Stadt« und Landbewohner find die 
Blumenkiften am Hauseingang und an den Fenftern eine Quelle 
endlofen Vergnügens und verurfachen überdies nur geringe 
Mühe. Sie machen nicht nur dem Befitjer, fondern allen auf 
der Straße Freude, und die Städte wären ganz verwandelt, wenn 
es Mode werden würde, jedes Haus in den Straßen, an den 
Fenftern, Balkons und Eingängen fo zu fcbmücken. Es ift nicht 
fcbwer, diefe Mode zu fcbaffen, denn das Beifpiel eines einzigen 
Haufes erweckt gewöhnlich in der ganzen Nachbarfchaft den 
Wunfcb der Nachahmung. □ 
In Canterbury in England ift die ganze Hauptftraße durch eine 
Menge von Blumen an den Fenftern faft eines jeden Haufes 
gefcbmückt und diefer Umftand ift darauf zurückzufübren, daß, 
als der Prinz von Wales diefe Stadt befuchte, die Häufer zu 
feinen Ehren mit Blumen dekoriert waren. Die Straße bot ein 
fo reizvolles Bild, daß viele auf den Gedanken kamen, es wäre 
wünfcbenswert und zugleich nicht koftfpielig und mübfam, diefe 
Dekoration für immer beizubebalten. □ 
Wenn man nur einmal gezeigt haben wird, daß die gefchickte 
Anordnung von Sträuchern und Blumen bei der Mauerbafis der 
Häufer den fcbroflfen Winkel vernichtet und eine anmutige grüne 
Linie bildet, welche das Gebäude mit dem Boden, auf dem es 
ftebt, zu verbinden fcheint, und daß das nackte Skelett der Tore 
und Veranden fcbön wird, wenn fie mit Schlingpflanzen bedeckt 
find, werden die angrenzenden Häufer in kürzefter Zeit den 
gleichen Schmuck aufweifen. Ein Hinterhof mit aufgebängter 
Wäfche, Gießkannen, Holzfägen ufw. ift an und für ficb wohl kaum 
fcbön zu nennen, feine nackte Häßlichkeit kann aber durch eine 
an richtiger Stelle gepflanzte Gefträucherbecke verborgen werden, 
die zugleich als Umzäunung, als eine Schu^mauer und als Ver« 
fcbönerung der Landfcbaft dient. □ 
Und die Husgaben find fo gering! Die Kinder find von Natur 
aus Gärtner. Es bat wohl noch nie ein Kind gegeben, das nicht 
gerne in der Erde gegraben hätte, und wenn man diefe Neigungen 
fo leitet, daß das Kind fühlt, es leifte dadurch etwas Produktives, 
wird der ganze angeborene Hrbeitsfinn zum Vorfchein kommen. 
Für das Bepflanzen eines kleinen Fleckes find ausdauernde, 
altbekannte Blumen und Sträucber zu bevorzugen. Es ift eine 
gute Regel, mehr Gefträuch und Schlingpflanzen als Blumen an« 
zubauen, wobei das Laub fich wie ein Rahmen ausnimmt und die 
Blumen zur Belebung durch ihre Farben dienen. Unempfind« 
liehe Perennien, die fich felbft Jahr um Jahr mehr ausbreiten, 
machen nicht viel Mühe und eine gut angelegte Anpflanzung 
von Gefträuch und Scblinggewäcbfen braucht nicht fonderlich 
gepflegt zu werden. Es wirkt gut, wenn die Kiften genau auf 
den Mauervorfprung paffen und die Drähte von da aus bis zu 
den Dachtraufen reichen. Eine Anpflanzung von rafcb wachfen- 
den Schlingpflanzen, als wie Clematis oder Kapuzinerkreffe, 
bilden bald eine Verkleidung, die die Veranden fremden Blicken 
entziehen, und die übrige Kifte kann mit anderen Blumen ge« 
füllt werden. Es ift immer am beften, möglicbft wenige Vari« 
anten von Pflanzen zu verwenden und lieber eine einzige Blumen« 
art oder einige Nuancen derfelben Farbe anzubauen, das wirkt 
viel vorteilhafter, als wenn verfchiedene Blumenforten durch« 
einander gemifcht werden. □ 
Wenn man keine empfindlichen und fremdländifcben Pflanzen 
wählt, macht eine gut trainierte und gewäfferte Blumenkifte 
auf dem Fenfter oder Balkon febr wenig Mühe. Diefe Arbeit 
ift eher ein Vergnügen, als eine Pflicht, und felbft wenn fie doppelt 
fo groß wäre, würde der dadurch verurfachte Verluft an Zeit 
und Geld durch das Vergnügen und die Verfcbönerung der 
ganzen Umgebung mehr als aufgewogen werden. □ 
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