MODE UND HANDARBEIT
JUTTA SICKH. Plaftron, weißes Tuch mit
gelber Seide geftickt
ZUR KULTUR DER KLEIDUNG
(SCHLUSS)
G ibt es da beim ftrablenden Ketzern
fcbein auf fpiegelglattem Parkett
oder auf dem weichen Smyrna
des traulichen Salons, der von balbge=
dämpften Klängen heimlichen Lichtes
durchzogen wird, nicht Augenblicke, in
denen das Befte in uns, unfere Sehnfucht,
unfer Tatendrang nach Hustaufcb im Kreife
gleichgeftimmter Seelen ringen. Und wir
Männer des zwanzigften Jahrhunderts,
die wir Grund haben, ftolz zu (ein auf
unfere fcbwer errungene Kultur, kleiden
wir uns in eine konventionell vorgefchrie-
bene, überkommene Trauertracht (denn
nicht anders kann ich den fchwarzen Frack
der Gefellfchaft bezeidmen), verleugnen
fo die Freude am Leben und der farben
frohen Natur, bieten dem Auge nichts,
worüber es (ich entzücken könnte, ver»
fcbließen der Malerei im befonderen eine
Fülle dankbarer Momente, auf die (ie voll
und ganz Anfpruch bat. Warum? Weil
wir alle (amt und fonders wohl Nie^fches
Namen auf die Lippen nehmen, aber
feines Geiftes Hauch nicht inne werden und
nicht verfteben wollen, daß der adlige
Menfch von beute, d. h. der, welcher
MHRIETTH PEYFUSS. Tifcbtucb (V* Teil),
Scbnurfticb, weiß auf blauem Grund (Meißner)
echten Geiftesadel befit)t, auch das Recht bat, der überkomme
nen Sitte und Konvenüon zu entfagen. Fände (ich erft ein
mal eine kleine Gemeinde wahrhaft künftlerifcb denkender
Männer wieder, die den Mut haben, mit der Tradition des obli
gaten Gefellfcbaftsfracks zu brechen und in das gefellfcbaftlicbe
Leben der Gegenwart farbenfrohe Töne bineinzutragen! Ich
habe die fefte Überzeugung, der Kunft unterer Zeit wurden
hundertfältige malerifche Aufgaben zugewiefen. Auf der dies
jährigen Ausftellung der Berliner »Sezeffion« hing ein wunder-
fames, überrafcbendes Bild: Evenepoels, des jung verftorbenen
Belgiers männliches Porträtftück in Rot. Auf mich hat dies Wer
wie eine feltene Offenbarung gewirkt. Welche Aufgaben wurden
da den Bildnismalern unterer Tage erfchloffen, wenn erft der
Herr der Schöpfung (die Frau ift ja in diefer Hinficht bedeutend
beffer geftellt) an feinem eigenen Leibe wieder eine Kultur des
malerifcben Gefcbmackes erproben würde. Man verftebe mich nicht
falfch. Worauf diefe Zeilen bingeben, ift, für eine Reform des
gefellfcbaftlichen Anzuges einzutreten. Der fefttäglicben Stim
mung, in der wir uns nach des Tages Mühen ergeben, ein neues,
fefttäglicbes Gewand zu bereiten, Eigenftil und Eigengefcbmack
wenigftens in die feftlicben Räume einzufübren, wo heller Lichter
glanz uns umfließt, feftlicb und beiter geftimmte Menfcben um
uns find. Warum kann man heute von gebildeten Menfcben fo
häufig ein Malediktum auf den läftigen obligaten Feftanzug ver
nehmen? Weil diefe Menfcben alle (und zwar durchaus mit Recht)
den inneren Widerfprucb nur zu deutlich fühlen zwifchen der
uniformen, alles ausgleichenden Gefellfcbaftstracht und der echten
Fefttagslaune, zu der eine folcbe Kleidung gar nicht ftimmen
will. Diefe hier nur fkizzenbaft angedeuteten Gedanken ließen
(ich des weiten und breiten noch nach mancherlei Geficbtspunkten
ausfübren. Eine Befferung in diefer Hinficht ift nur zu erzielen,
indem man (ich an die breite Öffentlichkeit wendet. Man frage
einmal unfere Künftler, was fie zu dem hier Angedeuteten tagen.
Ob es nicht 99 von 100 als eine Wohltat empfinden würden, wenn
der männlichen Kleidung wieder die Farbe zurückgegeben würde.
Ein einzelner kann da allein keine Änderung bewirken, man
würde ihn nur als Narren verfchreien, aber wenn fid> irgendwo
in einer Stadt 20, 30 oder gar 100 Menfcben finden würden, die
fleh verpflichten, von jetjt an wieder den braunen, den roten,
den blauen und grünen Frack (wenn es der durchaus fein muß.)
in der Gefellfchaft zu tragen: ich glaube, die Sache hätte febr
bald gewonnen.
Und auf noch etwas foll an diefer Stelle kurz bmgewiefen
werden. Überall hören wir das Lob unterer modernen kunft-
qewerblicben Bewegung. Wo aber bleibt die fogenannte Kultur
der Kleidung? Sind wir nicht allefamt auf Gnade oder Ungnade
bisher den willkürlichen handwerkerlichen Launen der Parifer
Modefchneider preisgegeben gewefen? Warum finden (ich keine
Künftler, die wie Garvani in der Eigenkultur der Kleidung eine
vornehme Lebensaufgabe erblicken? Ich hoffe zuverficbtlicb, es
wird eines Tages auch hier eine Wandlung kommen.
DER MODERNSTE MENSCH IST JENER, DER SICH
NICHT HN DIE MODE HÄLT. L -